Was ist eigentlich der Sinn einer Gratulation?
In den meisten Fällen würdigt sie eine Leistung, einen Meilenstein oder einen besonderen Moment im Leben eines Menschen. Sie sagt: „Ich sehe, was du erreicht hast – und das ist bedeutend!“ Gerade bei persönlichen Erfolgen kann eine Gratulation Kraft schenken. Sie stärkt das Selbstvertrauen, motiviert, und erlaubt es, am Glück des anderen teilzuhaben. Sie zeigt: Ich freue mich mit dir.
Und natürlich gratulieren wir uns auch zu besonderen Tagen, zu Festen und Feiertagen – nicht wegen einer individuellen Leistung, sondern aus dem Wunsch heraus, Verbundenheit auszudrücken. Wir gratulieren uns als Zeichen von Zusammengehörigkeit, als Anerkennung unserer gemeinsamen Kultur, unserer Traditionen. Und genau darin liegt auch eine große Kraft.
Doch was genau feiern wir eigentlich, wenn wir uns gegenseitig zum Opferfest gratulieren? Was ist das Ereignis, das diese Gratulation rechtfertigt? Welche besondere Leistung hat jeder von uns vollbracht – außer, dass die Sonne ein weiteres Mal unter- und aufgegangen ist? Inwiefern ist das Opferfest ein Moment, der unser Selbstvertrauen stärkt oder uns Kraft für kommende Herausforderungen gibt? Was genau verbindet uns, wenn wir uns gegenseitig beglückwünschen?
Wir ziehen unsere Kinder für gewöhnlich schön an, besuchen Familie und Freunde, laden ein oder werden eingeladen. Aber all das könnten wir an jedem anderen Tag des Jahres tun. Und dann ist da noch der zentrale Ritus des Festes: das jährliche, massenhafte Schlachten von Abermillionen Schafen. Schafe, die das Pech hatten, als solche in diese Welt geboren worden zu sein.
Bitte kommt mir nicht mit: „Das ist eben Schicksal!“ oder „So will es die Tradition!“
Wo bleibt da das Maß, das uns der Koran auferlegt?
„O Kinder Adams! Legt zu jeder Gebetszeit euren Schmuck an, und esst und trinkt, aber seid nicht maßlos. Wahrlich, Er liebt nicht die Maßlosen.“
(Sure 7, Vers 31)
„Und wenn sie eine Schändlichkeit begehen, sagen sie: ‚Wir haben das bei unseren Vätern vorgefunden, und Gott hat es uns befohlen.‘ Sprich: Gott befiehlt nichts Schändliches. Wollt ihr über Gott etwas sagen, was ihr nicht wisst?“
(Sure 7, Vers 28)
Wie lässt sich rechtfertigen, dass in den Haushalten der Welt 20 Kilo Fleisch im Tiefkühlfach gehortet werden, während anderswo Menschen nicht wissen, wie sie durch den Tag kommen sollen? Rechnen wir das einmal hoch – die Summen, die da zusammenkommen, sind gewaltig. Und ich frage mich: Kann das wirklich im Sinne Gottes sein?
Eine Tradition, die Maßlosigkeit kultiviert, sinnloses Schlachten beglückwünscht und dabei notleidende Menschen ignoriert, ist für mich keine, die ich weiterführen kann. Aus Überzeugung. Denn mit dem Wohlgefallen Gottes hat das für mich nichts zu tun.
Vielleicht war das Opfer nie das Entscheidende.
Vielleicht war es immer das Vertrauen, das Loslassen, der Blick nach innen.
Und vielleicht beginnt das eigentliche Opferfest erst da, wo ein Mensch bereit ist, das zu geben, was ihm am meisten bedeutet – so wie einst Abraham.
„Als er alt genug war, mit ihm zu arbeiten, sagte er: ‚Mein lieber Sohn, ich habe im Traum gesehen, dass ich dich opfere. Was meinst du?‘ Er sagte: ‚Mein Vater, tu, was dir befohlen wird. Du wirst mich – so Gott will – standhaft finden.‘ Und als sich beide (Gott) ergeben hatten und er ihn mit der Stirn nach unten hingelegt hatte, da riefen Wir ihm zu: ‚O Abraham! Du hast den Traum wahr gemacht. So belohnen Wir die, die Gutes tun. Das war in der Tat eine klare Prüfung. Und Wir lösten ihn mit einem großartigen Schlachtopfer aus. Und Wir ließen ihn in späteren Generationen weiterleben: ‚Friede sei auf Abraham!‘ So belohnen Wir die, die Gutes tun. Er war einer Unserer gläubigen Diener. Und Wir verkündeten ihm die Geburt von Isaak – einem Propheten, einem der Rechtschaffenen.“
(Sure 37, Verse 102–113)
Abraham hatte einen diffusen Traum und den verfolgte er, bis dieser Traum Wirklichkeit wurde. Er wusste nicht, was ihn am Ende erwarten würde. Aber er wusste, was zu tun war. Und er war bereit, das zu opfern, was ihm am teuersten war – sein eigener Sohn.
Das Opfer des Propheten Josef war seine Freiheit – er ließ sich lieber einsperren, als seine Bestimmung zu verraten.
„Er sagte: ‚Mein Herr, das Gefängnis ist mir lieber als das, wozu sie mich einladen. Und wenn Du ihre List nicht von mir abwendest, werde ich zu ihnen neigen und einer der Unwissenden sein.‘“
(Sure 12, Vers 33)
Und am Ende wurde die Zeit im Gefängnis zu einer Tür in eine neue Freiheit.
Auch Moses’ Mutter musste ihr Kind loslassen – und bekam es bald darauf wieder.
„Und Wir offenbarten Moses’ Mutter: ‚Stille ihn! Und wenn du für ihn fürchtest, so wirf ihn in den Fluss. Fürchte dich nicht und sei nicht traurig! Wir werden ihn dir zurückbringen und ihn zu einem der Gesandten machen.‘
Da nahm ihn die Familie des Pharao auf, damit er ihnen zum Feind und zum Kummer wird. Wahrlich, Pharao und Hāmān und ihre Heerscharen waren verfehlend.
Und die Frau des Pharao sagte: ‚(Er ist) eine Freude für mich und für dich. Tötet ihn nicht! Vielleicht nützt er uns, oder wir nehmen ihn als Kind an.‘ Und sie merkten es nicht.
Und Moses’ Mutter empfand in ihrem Herzen eine Leere. Beinahe hätte sie es verraten, hätte Wir ihr Herz nicht gefestigt, damit sie zu den Gläubigen gehöre.“
(Sure 28, Verse 7–10)
Diese Geschichten erzählen nicht vom Schlachten. Sie erzählen davon, was es wirklich kostet, deiner inneren Wahrheit treu zu bleiben. Was es bedeutet, ein Ziel zu haben, das größer ist als dein bequemes Jetzt. Was es heißt, zu verzichten – aus Überzeugung. Und was für eine Kraft entsteht, wenn du dich deiner Bestimmung stellst.
Abraham wurde für seinen Mut mit einem zweiten Sohn beschenkt: Isaak, ein Prophet. Josef wurde zum Herrscher über Ägypten und seine Familie lag ihm zu Füßen. Und Moses wurde zum Gründervater einer neuen Weltreligion. All diese Geschichten stehen sinnbildlich für die Kraft, die entsteht, wenn du wagst, loszulassen – um das zu empfangen, was dir eigentlich bestimmt ist.
Vergleiche dein jetziges Leben mit dem, was du dir am meisten wünschst. Wonach sehnst du dich? Was ist deine tiefste Hoffnung, dein größter Traum? Wenn du das weißt – dann weißt du auch, was du opfern müsstest, um diesem Traum näherzukommen. Und wenn du das weißt, dann liegt die Entscheidung bei dir: Ob du losgehst oder stehenbleibst. Ob du dich aufmachst in ein neues Leben – oder im alten verharrst. Ob du den Preis zahlst – oder lieber so tust, als gäbe es nichts zu gewinnen.
Aber wenn du wirklich opferst – aus vollem Herzen – dann steht deinem Glück nichts mehr im Weg.
Und alle Schafe dieser Welt freuen sich mit dir.