Oguz, 42 Jahre
Jeder kennt, denke ich, diese „Film – Sequenzen“, die man als Erinnerung kennt. Ich habe viele dieser Erinnerungen aus meiner Kindheit, Jugendzeit und Erwachsenen-Zeit. Viele dieser Erinnerungen sind emotional behaftet, manche positiv und manche negativ. Als Teenie habe ich im Religionsunterricht oft über Gott nachgedacht (ich war auf einer streng katholischen Schule) und dachte mir, warum beten die Christen immer diesen Jesus am Kreuz an, der neben der Tür im Klassenzimmer hängt. Jeden Morgen vor dem Unterrichtsbeginn gab es das Vater-Unser.
Des Weiteren musste ich zum Gottesdienst mit der Schule, jeden Dienstagmorgen, dann auch noch an allen christlichen Feiertagen, sechs Jahre lang. Im Reli-Unterricht haben wir aus der Bibel gelesen. Hat es mir geschadet? Bin ich heute ein Christ? Nein, weder ist aus mir ein Christ geworden, noch hat es mir geschadet. Ganz im Gegenteil, ich kann sagen, es hat mich bereichert.
Mit dreizehn Jahren hat mich meine Mutter zum Koran-Unterricht angemeldet, bei Emir Hoca, in der Moschee bei uns um die Ecke. Und ja es war grauenhaft. Ich habe einen von Gott geschenkten natürlichen Gerechtigkeitssinn, also wurde ich sehr bald wütend über die „pädagogisch wertvollen“ Lehren des Hocas. Mich hat der Hoca in Ruhe gelassen, ich hatte wohl Welpen-Schutz. Ich wurde weder kritisiert noch ermahnt, geschweige denn geschlagen.
Aber ich hatte die Angst der Kinder in den Augen gesehen, wie Ihre Stimme gezittert hatten. Der Hoca hatte ganz klassisch seinen dünnen Stock in der Hand und seine Stimme war autoritär. Er hatte immer wieder die Kinder auf deren Fehler hingewiesen, in dem er immer wieder auf den Koran-Buch-Ständer schlug. Ich weiß nicht nach wie vielen Unterrichtseinheiten, aber sehr früh bin ich einmal wütend geworden als er ein Kind heftig anfuhr und daraufhin bin ich aufgestanden und habe zurück geschrien. Alle waren erschrocken, sogar der Hoca. Keiner hat es erwartet, ich ehrlich gesagt, mit der Reaktion, auch nicht. Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Der Hoca hat mich raus geworfen, woraufhin ich wütend und fluchend die Moschee verlassen habe. Meiner Mutter habe ich alles erzählt und gesagt, dass ich weder dort noch woanders eine Moschee besuchen würde, dies war nicht mein Islam.
Aufgewachsen bin ich mit Türken, Marokkanern und „Yugos“ und ich hatte, wenn ich zurückblicke, eine ganz andere Einstellung zum Islam gehabt. Es gab immer Diskussionen und ich war immer anderer Meinung. Die meisten der Jungs fanden das mit dem „Gehorsam“ auch alles daneben, sie aber haben sich damit abgefunden. Ich konnte nicht glauben, dass Gott immer diese böse Autorität ist, mit dem erhobenen Zeigefinger dich richtet und wenn du nicht lieb bist, dann in die Hölle kommst.
Also habe ich mich immer weiter von diesem Islam verabschiedet. Dass es eine große Macht gibt und dass diese Macht Gott ist, habe ich nie aufgegeben, aber für mich gab es lange keinen Islam. Erst recht nicht, als ich im Urlaub in der Türkei gesehen habe, wie schwachsinnig vieles war.
Im jugendlichen Alter habe ich angefangen schlecht zu sprechen, ich war bei Logopäden usw., aber nichts hat geholfen. Meine Mutter brachte mich zu Verwandten, die sehr „religiös“ waren und die mir „Zemzem“-Wasser zu trinken gaben und mit einer Rasierklinge wollten sie mir mein Zungenfädchen durchschneiden, damit die Zunge wieder locker sitzt. Ich habe mich natürlich mit all meiner Kraft der Jugend gewehrt, so dass sie mich nicht festhalten konnten und sie davon Abstand hielten. Ich musste als Alternative nur noch kleine Papierkügelchen mit Arabisch beschrifteten Wörtern schlucken, dies sollte mich heilen. 😊
Diese Erfahrungen haben mich natürlich geprägt. Erst viel später, als der Terroranschlag 9/11 passierte und ich mich plötzlich nicht nur als der „Türke“ rechtfertigen musste, sondern auch als der „Moslem“, habe ich wieder angefangen mir viele Fragen zu stellen. Warum sind wir so böse, wir Moslems? Warum sind wir so aggressiv? Ist das Gottes Wille??? Also bin ich zur nächsten großen Bücherei gegangen und habe eine Ausgabe des Korans auf Deutsch erworben. Es war eine Ausgabe der Ahmadiyya Gemeinde. Nachdem ich diese gelesen habe, habe ich nicht viel empfunden, dies konnte nicht mein Islam sein. Ich habe dennoch im Internet recherchiert und hier und da nach Antworten gesucht.
Später bin ich nach der Heirat nach Köln gezogen und die Islamische Community war zu dem Zeitpunkt stark vorhanden. Ich war das nicht gewohnt, man durfte dort beim Türken (Obst-Gemüse-Händler oder vereinfacht gesagt Döner-Laden) nicht so einfach einkaufen, der eine war entweder Kurde, also kein Gläubiger, der andere Türke, war ein Gülenist oder ein Milli Görüs-Anhänger und es gab noch viele andere Fußballvereine. Oh sorry ich meinte „Glaubensrichtungen“. Man wurde unterschwellig aufgefordert sich für eine Mannschaft zu entscheiden.
Ich und entscheiden?
Nein, ich habe mich für keine entschieden, auch nicht für den Verein, der meine Frau angehörte, der Nakshibendi. Dennoch habe ich alle Moscheen von Freitag zu Freitag besucht und habe ohne es zu merken meinen eigenen Moscheereport erlebt.
Nach weiteren Ausgaben des Koran und weiteren Recherchen im Internet bin ich auf einen seltsamen Artikel von Kerem Adigüzel gestoßen, wo das Beten während der Menstruation behandelt wird. Sogar ein Liberaler wie ich hat große Augen bekommen. 😊 Aber ich fand es dennoch sehr interessant und irgendwie fand ich die Schreibweise toll, dennoch dachte ich im Hinterkopf: Der gehört doch bestimmt einer Sekte an! Ich dachte, wenn ich ehrlich bin, zunächst an den Verein von Adnan Oktar und den Miezekätzchen. Lach!
Gott sei Dank hat es sich nicht bestätigt. So bin ich auf alrahman.de gestoßen und nach anfänglichen Reibungen habe ich Menschen gefunden, die auch so fühlen und auch so denken wie ich.
Hey ich war nicht mehr alleine, das war ein großartiges Gefühl. Ich habe den Islam, die Gottergebenheit gefunden, die reine, saubere und friedliche Gottergebenheit mit viel Liebe aber auch mit Vernunft und Logik. Ja, diese Gottergebenheit kann göttlich sein.
Und der Prozess geht weiter, jeder Tag ist ein neuer Tag, um auf dem Weg Gottes zu lernen und zu bleiben.
Möge Gott mir dabei helfen und anderen Ihre Herzen sowie Verstand erhellen.