As-salâmu ‚alaikum – Der Frieden sei mit Ihnen!
Diese arabische Grußformel, auch bekannt als der Friedensgruß, ist ein einfacher Gruß, der besonders unter Muslimen verbreitet ist. Dieser Gruß wird im heutigen Sprachgebrauch unter den Arabern auch oft von nichtreligiösen Menschen verwendet, weil dieser so alltäglich geworden ist.
Doch traditionell orientierte Muslime hüten sich davor, diesen Gruß bei Andersgläubigen zu verwenden, geschweige denn bei sogenannten „Ungläubigen“! Manchmal geht es sogar so weit, dass man nicht einmal gewisse Gruppierungen von Muslimen grüßt, weil die der eigenen Meinung nach Ketzer seien.
In unserer Koranlesung vom 6. Dezember 2013 wurde ich unter anderem gefragt, ob man zum Beispiel einem Christ gegenüber diesen Gruß sagen dürfe oder nicht. Denn viele, die sich so langsam von der Tradition des Mainstream-Islam befreien wollen, kämpfen noch mit diesen falschen Gewohnheiten, die dem Koran widersprechen, wie wir gleich sehen werden.
Woher kommen denn all diese Traditionen? Die aufmerksamen LeserInnen werden es ahnen: aus den Hadith-Sammlungen. Bereits der hanafitische Gelehrte al-Râzi hielt es für „verwerflich“ (makruh), den Ungläubigen (kafir) als erster mit dem Friedensgruß zu begrüßen. Dies sei seiner Ansicht nach der Gruß der Paradiesbewohner, also der Muslime, zu denen ein „Ungläubiger“ natürlich nicht gehört. Es hört auch nicht bei den sogenannten Ungläubigen auf, auch die Juden kommen nicht in den Genuss des Friedens(grußes) traditioneller Muslime, welche diese Ahadith ernst nehmen. Laut diesen soll der Prophet angeblich seine Gefährten ermahnt haben, die Juden nicht zuerst zu grüßen (siehe im Sunan von Ibn Madscha, Band 2, S. 1219, veröffentlicht in Kairo 1972). Nichtsdestotrotz gibt es Ahadith wie den folgenden, wo man zuerst doch denkt, selbst in der Tradition gibt es doch den Friedensgruß an alle:
Usama ibn Zaid berichtete, dass der Prophet an einer Versammlung von Muslimen, Ungläubigen, Götzendienern und Juden vorbeigekommen sein soll. Der Prophet soll sie alle gegrüßt haben: Der Friede sei mit euch – as-salamu aleikum (In Bukhary wie auch in Muslim)
Doch dieser Hadith wird von den Gelehrten dahingehend interpretiert, dass der Gesandte Gottes in dieser Situation den Friedensgruß aussprach, weil dort sehr viele Muslime waren und man den Muslimen immer den Friedensgruß bieten sollte, auch wenn die „Ungläubigen“ in der Nähe sind.
Koranverse über den Friedensgruß
Zum Glück fügen diese Gelehrten zu ihren Meinungen am Ende stets ein „Allahu a’lam“ hinzu, was soviel bedeutet wie „Gott weiß es besser“. In der Tat! Gott weiß es besser als sie und unterrichtet uns, wie wir mit diesem Friedensgruß umzugehen haben in den unterschiedlichsten Beispielsituationen! Kein Bedarf an weiterer Erklärung nötig durch widersprüchliche und teils sehr rassistische Ahadith, die dem Wesen des Koran zutiefst widersprechen.
Gott legt uns nahe, dass wir jeden Gruß zu erwidern haben mindestens auf die Art und Weise, wie wir gegrüßt wurden:
4:86 Und wenn euch ein Gruß entboten wird, dann grüßt mit einem schöneren (zurück) oder erwidert ihn (in derselben Weise)! Gott rechnet über alles ab.
Es ist also so, dass man stets den Gruß, der einem selbst entboten wird, in derselben oder in einer besseren Art und Weise erwidern soll. Der Vers sagt hierbei nicht „wenn euch ein Gruß von einem Gläubigen entboten wird“, sondern lediglich „wenn euch ein Gruß entboten wird“. Dabei ist es egal, wer einem gegenüber steht. Im letzten Satz des Verses teilt uns Gott mit, dass Er auch darüber abrechnen wird, wie wir in unserem Leben mit Grüßen umgegangen sind. Selbst wenn wir unbotmäßig angesprochen werden, haben wir mit „Frieden“ zu antworten:
25:63 Die Diener des Barmherzigen sind diejenigen, die maßvoll auf der Erde umhergehen und die, wenn die Toren sie ansprechen, sagen: „Frieden!“.
Gott verlangt von uns in jedem Fall eine Person, die an die Verse bzw. Zeichen Gottes glaubt, mit dem Friedensgruß zu begrüßen:
6:54 Und wenn diejenigen, die an unsere Zeichen glauben, zu dir kommen, dann sag: Friede sei über euch! Euer Herr hat sich zur Barmherzigkeit verpflichtet. Wenn einer von euch in Unwissenheit Böses tut und dann später umkehrt und sich bessert, so ist Gott barmherzig und bereit zu vergeben.
Dies bedeutet auch, dass wir jede Person, selbst wenn sie nicht immer derselben Meinung ist wie wir selbst in religiösen Fragen, mit dem Friedensgruß grüßen müssen. Konkret heißt das, dass niemand ausgeklammert werden darf aufgrund religiöser Differenzen, wie etwa Schiiten oder Sunniten oder „andere Rechtsschulen“. Es gibt nämlich einige Sunniten, die der Ansicht sind, sie könnten Schiiten vom Friedensgruß ausklammern, indem sie zu ihnen sagen: „Friede sei mit denen, die der Rechtleitung folgen“. Dies ist ein Ausdruck aus Vers 20:47, der hierzu missbraucht wird.
20:47 Geht nun zu ihm (Pharao) und sagt: Wir sind Gesandte deines Herrn. Schick die Kinder Israel mit uns weg und bestrafe sie nicht! Wir sind mit einem Zeichen von deinem Herrn zu dir gekommen. Friede sei über einem, der der Rechtleitung folgt!
Hierbei wird aber außer Acht gelassen, dass es sich um eine spezielle Situation handelt, in der es um die Geschichte von Moses, Aaron und Pharao geht. Dieser Vers kann also keineswegs verallgemeinert werden. Denn dies würde dann der Regel aus 4:86 widersprechen. Im Gegenteil, in Vers 20:44 wird uns deutlich gemacht, dass wir selbst bei einem Tyrann wie Pharao es war milde und sanfte Worte zu wählen haben! Zudem ist aus dem nachfolgenden Vers ersichtlich, dass die Erörterung eines Prinzips im Vordergrund steht und nicht das Grüßen an sich:
20:48 Uns ist offenbart worden, dass die Strafe denjenigen trifft, der (die göttliche Botschaft) für Lüge erklärt und sich abwendet.
Es ist dermaßen wichtig, dass der Gruß erwidert wird, dass wir auch in Kriegssituationen nicht einfach blind Menschen ausklammern können:
4:94 O ihr, die ihr glaubt, wenn ihr auf dem Weg Gottes im Land umherwandert, so seid euch im Klaren darüber (tabayyanuu) und sagt nicht zu dem, der euch den Frieden anbietet: „Du bist kein Gläubiger“, im Trachten nach den Gütern des diesseitigen Lebens. Gott schafft doch viele Möglichkeiten, Gewinne zu erzielen. So seid ihr früher (auch) gewesen, da hat Gott euch eine Wohltat erwiesen. So seid euch im Klaren darüber. Gott hat Kenntnis von dem, was ihr tut.
Wenn wir die Verse davor und danach betrachten, sehen wir, dass der Kontext dieses Verses eine Kriegssituation darstellt. Also auch selbst dann, wenn Krieg vorherrscht, dürfen wir nicht achtlos werden in Bezug auf diese Grundregel des Grüßens. Es gibt zwei wichtige Punkte, die in diesem Vers bemerkt werden sollten.
Erstens, dass Gott uns mitteilt, dass wir früher auch so gewesen sind. Diesen Vers in seinen historischen Kontext einzuschränken und von unserer Zeit zu distanzieren bedeutete, dass dieser Vers als eine bloße Berichterstattung gilt ohne irgendeine innere Lehre, was aber dem Koran widerspricht (12:111). Wir waren also gleich wie sie, die wir als „keine Gläubige“ beschreiben würden. So ist es einfach einzusehen, dass der Weg zur Wahrheit ein langer und steiniger Weg sein kann und deshalb Verständnis und Geduld erfordert. Wenn nicht wir, als Gläubige, den Menschen Verständnis und Geduld lehren, wer dann? Wir sollten Vorbilder sein.
Zweitens, solch eine Ausklammerung mittels „du bist kein Gläubiger“ wird mit dem Trachten nach diesseitigen Gütern in Verbindung gebracht. Anders betrachtet: sich als Gruppe abzuschotten und finanzielle, gemeinschaftliche und politische Hilfe nur den eigenen Reihen zukommen zu lassen wird hier mit „Trachten nach den Gütern des irdischen Lebens“ assoziiert. Dies dient dazu, dass wir keinerlei Abspaltungen zulassen dürfen, nicht einmal im Kriegsfalle. Weitere Betrachtungen hierzu im Artikel Abspaltungen, Madhabs und Sekten. „Du bist kein Gläubiger“ zu sagen bedeutete in diesem Kontext weitergedacht „und du bist somit einer von den Feinden“. Die friedlichen Mitmenschen, die sich nicht am Krieg beteiligen, als Feinde anzusehen wird in diesem Vers verboten. Damit wird ihr Vermögen wie auch ihr Leben und das ihrer Familie unter den Schutz Gottes gestellt. Denn Gottes System und Ordnung sehen es vor, dass Religions- und Meinungsfreiheit gelten sollen (2:256; 18:29; 10:99; 88:21-22). Insbesondere das im obigen Vers vorkommende „seid euch im Klaren“ (tabayyanuu) verbietet nicht nur die Verleumdung, sondern verlangt von den Gläubigen, Nachforschungen anzustellen über die Aufrichtigkeit der Person. Der Angeklagte ist also unschuldig bis seine Schuld bewiesen wurde.
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass man stets in derselben Art und Weise, wie man gegrüßt wurde, zurück grüßen muss, ja man soll diesen Gruß sogar noch verbessern (4:86). Dies selbst dann, wenn man unschön angesprochen wurde (25:63). Der Gruß zwischen den Gläubigen, welche an die Zeichen und die Verse Gottes glauben, ist hierbei der Friedensgruß (6:54). Selbst wenn man anfänglich der Meinung ist ohne Beweise, jemand sei kein Gläubiger und somit ein Feind im Kriegszustand, haben wir den Gruß zu erwidern (4:94).
Wenn wir im Koran weiter suchen, sehen wir, dass der Friedensgruß bereits sehr alt ist. Laut den Versen des Koran benutzte schon der Prophet Abraham diese Worte gegenüber Menschen, die er gar nicht kannte, also auch ungeachtet ihrer Glaubenszugehörigkeit:
51:24-25 Ist dir nicht die Geschichte von den ehrenvoll aufgenommenen Gästen Abrahams zu Ohren gekommen? Als sie bei ihm eintraten, sagten sie „Frieden!“ Er sagte (ebenfalls) „Frieden, ihr ablehnende Leute.“
Wir bemerken, dass Abraham lediglich kurz „Salam“ (Frieden) sagt, nachdem er mit diesem Gruß zuerst gegrüßt wurde. Dies obwohl er diese Leute als „ablehnende Leute“ beschreibt (qawmun munkiruun). Er setzte also stets konsequent die Regel des Koran um. In einer weiteren Lesart könnte man von „abgelehnten Leuten“ sprechen (qawmun munkaruun). Die Wurzel von munkir/munkar ist dieselbe, nämlich nakara (n-k-r) und hat stets mit einer gewissen Ablehnung (nukr), Abneigung (istinkār) und Leugnung (inkār) zu tun. In gewissen Übersetzungen kommt die Bedeutung „unbestimmte/unbekannte Leute“ zum Vorschein, aber selbst dann befolgt Abraham die koranische Regel ohne Ausnahme, obwohl er die Leute nicht kennt.