Theologische Bewertung des Jenseits aus philosophischer Sicht
Ich suche Zuflucht beim Herrn vor dem verstoßenen Satan,
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen
Frieden sei mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser!
Symbolik und wörtliche Bedeutungen spielen im Verständnis, in der Hermeneutik einer Schrift eine wichtige Rolle. So werden sowohl im Koran als auch in der Bibel des Öfteren Gleichnisse angeführt, die, wie der Name schon sagt, keine wörtliche, sondern metaphorische(Fn1) oder allegorische(Fn2) Beschreibungen einer Aussage sind. Wenn man beginnt, über die allegorischen oder metaphorischen Verse in der Schrift nachzudenken, werden einige Probleme ersichtlich. Mir stellte sich z. B. die Frage, wieso Gott menschliche Attribute wie Liebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit etc. auf sich selbst bezieht.
So heißt es beispielsweise im Koran:
17:110 Sprich: Ruft Gott oder ruft den Erbarmer an. Welchen ihr auch anruft, Ihm gehören die schönsten Namen. Und sei nicht laut beim Gebet, und auch nicht leise dabei. Suche einen Weg dazwischen.
Das deutsche Wort ‚Jenseits‘ entspricht im Koran dem arabischen Wort „aakhera“, was wörtlich „letzte“ bedeutet, im Sinne einer endgültig letzten Endstation auf der Reise unseres Lebens. Im Folgenden jedoch werde ich ohne Einschränkung der Bedeutung das deutsche Wort verwenden.
Die wohl bekannteste, falsche Vorstellung über das Jenseits, ist die fälschlich dem Propheten Mohammed zugeschriebene Aussage, dass im Paradies 72 Jungfrauen für den Märtyrer warten. Es wird leider von Hadith-Anhängern und oberflächlich informierten Menschen geglaubt, dass dies ein Bestandteil der islamischen Glaubenslehre sei. Es ist offensichtlich, dass diese nicht im Koran enthaltene Vorstellung eine männlich bedingte Interpretation ist. Leider haben Vorstellungen wie diese das Verständnis von den Koranversen, die über das Jenseits berichten, verzerrt(Fn3). Sowohl das Paradies (Garten; arabisch Dschennah) als auch die Hölle (ar. Dschahannam, verbunden mit Nar „Feuer“) werden im Koran als Allegorien angeführt. Es wäre deshalb unlogisch, den Garten und das Feuer im Jenseits mit unseren Kenntnissen gleichzusetzen. Ein Beispiel für die Unlogik der Annahme, dass das Jenseits mit unseren Kenntnissen über diese Welt realistisch beschrieben werden könnte, ist der folgende Koranvers:
17:60 Und Wir sprachen zu dir: „Dein Herr umfasst die Menschen.“ Und Wir haben das Traumgesicht, das Wir dich sehen ließen, nur als eine Prüfung für die Menschen gemacht und ebenso den im Koran verfluchten Baum. Und Wir warnen sie. Doch das steigert nur ihre Widersetzlichkeit.
37:62-66 Ist dies besser als Bewirtung oder der Baum Zaqqum? Wir haben ihn zu einer Prüfung für die Ungerechten gemacht. Er ist ein Baum, der aus dem Grunde der Hölle empor wächst. Seine Früchte sind wie Satansköpfe. Sie sollen davon essen und (ihre) Bäuche damit füllen.
Edip Yüksel kommentiert den Vers 17:60 wie folgt:
Kuran’ı almak için Muhammed peygamber’in seyahatine değiniliyor olabilir (17:1 ve 53:1-18). Cehennem ateşi içinde biten Zakkum ağacına değiniliyor (37:62-66). „Cehennem ateşi“ ifadesini mecazi olarak anlamak istemeyenler, „ateşin içinde ağaç mı yetişir?“ diyerek inkarlarında fanatikleştiler. Tanrı, ikiyüzlülere ve inkar etmek isteyenlere özellikle bahane verir (2:26; 3:7; 17:82; 74:31).
Übersetzung:
[Der Vers] könnte sich auf die Reise beziehen, bei der der Prophet Mohammed den Koran erhielt (17:1 und 53:1-18). [Ebenso] bezieht sich [der Vers] auf den Zakkum-Baum, der im Höllenfeuer gedeiht (37:62-66). Jene, die die Formulierung „Höllenfeuer“ nicht allegorisch verstehen wollen, wurden in ihrer Ableugnung zu Fanatikern, indem sie „wie kann ein Baum im Feuer gedeihen?“ fragten. Gott gibt insbesondere den Heuchlern und denen, die ableugnen wollen, die Möglichkeit für Ausreden (2:26; 3:7; 17:82; 74:31)
Zu den wichtigsten Glaubensgrundsätzen des Koranischen Islam gehört der zweifellose Glaube ans Jenseits (vgl. 2:62, 5:69). Der auf den ersten Blick erscheinende Sinn dieser betonten Wichtigkeit liegt darin, dass das Jenseits Gerechtigkeit bringen wird. Jenseits als Hoffnung auf etwas Besseres, auf eine Belohnung. Leider wird das Konzept des Jenseits in vielen Moscheen in einer sehr einseitigen Sicht repräsentiert. Beispielsweise hörte ich in einer auf Türkisch gehaltenen Freitagspredigt in einer Zürcher Moschee ständig von der „Hölle“ und dem brennenden Feuer, welche die „Ungläubigen“ (meist als „Nichtmuslime“ gleichgesetzt) heimsuchen werde. Die meisten der Zuhörer, alle ausnahmslos männlich, waren zweifellos Türken. Ich sah, wie einige Köpfe nickten und dachte darüber nach, wie viele der Zuhörer wohl den Koran je selbst gelesen haben, so, dass sie ihn auch selber verstehen. Die meisten der „Argumente“, die in der Predigt gehalten wurden, hätte ich mit einigen wenigen Koranversen widerlegt (beispielsweise die Annahme der meisten Sunniten, alles aus ihrer Sicht Nichtmuslimische komme ins Feuer: 2:94, 2:111), doch ich war nicht auf eine Diskussion aus und es wäre bestimmt amüsant gewesen, zu sehen, was in einem Raum vollgefüllt mit Sunniten mit dem Widersprechenden passieren würde. Gott sei Dank, dass Er mir die Vernunft gegeben hat, zu schweigen!
Es gibt Gott sei aller unendlicher Dank viele Wege, die zu Ihm, dem Einen Gott führen und all diese Wege sind nicht zu werten!
17:63-65 Gott sprach: „Fort mit dir (Satan)! Und wer von ihnen dir folgt, fürwahr, die Hölle soll euer aller Lohn sein, ein verdienter Lohn. Und scheuche mit deiner Stimme auf, wen (auch immer) von ihnen du kannst, setze ihnen zu mit allen deinen Heerscharen und Ross, nimm an ihrem Vermögen und ihren Kindern (als Partner) teil und mach ihnen Versprechungen! Der Satan macht ihnen nur trügerische Versprechungen. Über Meine Diener hast du keine Macht. Sie verlassen sich auf Gott allein.“ Dein Herr genügt ihnen als Beschützer.
Viele der von Menschen ausgehenden Höllendrohungen, die an andere Menschen gerichtet sind, werden offensichtlich aus dem Grunde angeführt, dass sie meinen, nur das sei gerecht. Es ist ihre eigene Interpretation der Gerechtigkeit: die Anderen, die „Schlechten“. Dabei entstehen oft typische Rachegedanken wie „Wirst schon sehen, was du davon hast“ oder „Du wirst in der Hölle schmoren! Mir wird es dann besser gehen als dir“, die wir dann Gott „unterschieben“. Dabei übersehen Menschen oft, dass niemand den Anderen genau kennt, und tun all dies, ohne zu wissen, was Seine Gerechtigkeit ist. Denn Gott rechnet anders: würde er Gerechtigkeit vor Gnade walten lassen, gäbe es niemanden von uns mehr (35:45, 16:61). Wir denken, dass diese Beobachtung bei gewöhnlichen Menschen zutreffen kann. Politische Führerpersonen oder Gelehrte (studierte Personen) wissen auch, dass Angst die Bereitschaft bei Menschen verstärkt, alles zu tun, um sich wieder in Sicherheit zu wiegen. Dazu gehört auch die Befolgung von Anweisungen, welche den eigenen moralischen und ethischen Maßstäben widersprechen (wie wir später sehen werden, so Gott will).
Jenseits und die Göttliche Gerechtigkeit und Wahrheit sind laut Koran eng miteinander verbunden. Wenn wir eine oberflächliche Betrachtung der Realität vornehmen, sehen wir uns mit einer leider sehr traurigen (überprüfbaren) Wahrheit konfrontiert: der Mensch und die Gerechtigkeit tun sich schwer miteinander: Korruption, Kriege zu Profitzwecken (wie z.B. die Lüge des „Krieges für die Demokratie im Nahen Osten“ der Bush-Administration), (Ehren-)Mord, Menschenhandel, Scharlatanerie, Betrug, Egoismus (Eigennützigkeit) mit schadender Konsequenz, Umweltverschmutzung, Ausrottung gewisser Tierarten, grausame bzw. brutale Behandlung von Menschen (Steinigung, Handabhacken), Vergewaltigungen, Manipulation von Menschen, Feindseligkeiten, Passivität gegenüber Ungerechtigkeiten… die Liste scheint täglich zu wachsen. Dies alles geschieht durch die Hand des Menschen. Wer versucht, etwas gegen nur eine von den Ungerechtigkeiten zu unternehmen, wird zu Beginn der „Kampfansage“ in relativ kurzer Zeit demotiviert sein, aufgrund der unglaublich vielen Ungerechtigkeiten allein in diesem Aspekt.
Keine Frage, es gibt Gott sei Dank viele rechtschaffene, gutherzige Menschen. Doch bekannte Studien haben aufgezeigt, dass Menschen sich des Öfteren selbst falsch einschätzen.
Das Stanford Prison Experiment
Vielleicht kennen Sie den deutschen Film „Das Experiment“, die teilweise unrealistische Verfilmung eines wirklich stattgefundenen Experiments an der Universität von Stanford. Bei diesem Experiment von Philip Zimbardo (Bild rechts) erklärten sich 24 Studenten aus Palo Alto bereit, 14 Tage lang in einer Art Gefängnisanstalt zu verbringen. Die eine Hälfte sollte dabei die Rolle des Wärters übernehmen, die andere Hälfte die der Häftlinge. Die Motivation des Experimentes klingt simpel: Um die Einflüsse der Gefangenschaft zu untersuchen. Die „Wärter“ erhielten militärisch wirkende Uniformen, Sonnenbrillen, Trillerpfeifen und Schlagstöcke, und die „Gefangenen“ Kittel mit Nummern – fortan ihre Identität.
Die Lage schien entspannt und locker zu sein. Doug Karlson, einer der „Häftlinge“, schrieb: „Das Ganze ist lächerlich – nur ein Spiel, nichts weiter. Die 14 Tage schaffe ich locker!“ Die einzige Regel für die Wärter: körperliche Strafe oder Gewalt ist untersagt.
Das Scheingefängnis war kameraüberwacht und versteckte Mikrophone waren angebracht. In der ersten Nacht wurden die Gefangenen mit den Trillerpfeifen zum Appell geweckt. Schnell stellte sich heraus, dass die Wärter gerne Liegestütze als Bestrafung einsetzten. Das Experiment gerät bereits nach 36 Stunden außer Kontrolle, als der erste Gefangene – D. Karlson – seine Entlassung verlangte, nachdem er einen Nervenzusammenbruch erlitt. Am dritten Tag: Die Wärter verschärften ihre Behandlung der Gefangenen und zwangen einige, allein mit ihren Händen (ohne irgendwelche Hilfsmittel) Toiletten zu putzen. Mehrere Appelle fanden statt und Liegestütze wurden abverlangt. Zwei weitere Gefangene wurden entlassen, da sie unter dem Druck zusammenbrachen. Am vierten Tag kam ein katholischer Priester und machte die Gefangenen darauf aufmerksam, dass sie das Recht auf einen Anwalt hätten, da sie ja im Gefängnis saßen. Noch am selben Tag verlor ein weiterer Gefangener die Fassung und fing an zu weinen. Noch während seines Entlassungsgesprächs musste dieser zuhören, wie die restlichen Gefangenen, von einem Wärter dazu aufgefordert, im Chor sprachen „Gefangener 819 ist ein böser Typ“. Als erste Reaktion wollte er wieder zurück in seine Zelle, um allen zu beweisen, dass er doch durchhalten werde und konnte erst von Zimbardo zur Vernunft gebracht und entlassen werden.
Am Abend des fünften Tages kamen die Angehörigen der Gefangenen zu Besuch. Einige der Eltern berichteten, dass ein katholischer Priester angerufen und ihnen geraten hatte, ihrem Sohn einen Anwalt zu verschaffen, damit dieser auf Kaution freigelassen werden konnte. Zimbardo folgte dieser Aufforderung und ließ einen Anwalt mit jedem Gefangenen sprechen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Zimbardo klar, dass er das Experiment beenden musste, weil es kein Experiment mehr war. Die Gefangenen wurden in der Nacht entlassen.(Fn4)
Die Ergebnisse: Bei nicht-sadistischen Menschen wurde sadistisches Verhalten hervorgerufen. Psychische Folter, um die „Gefangenen“ zu quälen, wurde ganz offen eingesetzt (Gefangener 819 ist böse). „Nicht die Persönlichkeit des Menschen entscheidet, ob er grausam handelt, sondern die Umstände“, lautet die Folgerung Zimbardos. Weiter sagt er: „Wir gleichen unseren Charakter immer weiter jener Rolle an, die wir übernehmen, sobald wir die Aufgabe ausführen.“ Einfacher ausgedrückt: Der junge Student verinnerlicht seine Rolle als Wärter, der für Ordnung und Ruhe sorgen soll. Die Rolle ist nicht mehr nur eine Rolle, sondern real.(Fn5)
Zimbardo fordert heute noch ein Überdenken des Aufbaus von Gefängnissen, da seine Studie gezeigt habe, wie leicht Gefängnis anfällig für Gewalt- und Machtmissbrauch ist.
Dieses Experiment erklärt aber immer noch nicht zufriedenstellend, weshalb dermaßen viele Menschen beispielsweise während der Nazi-Regime-Zeit bereit waren, sich in den Dienst der Tötungsmaschinerie der Nazis zu stellen! Lag es an einem grundsätzlichen Charakterfehler dieser Menschen oder gibt es Situationen und Umstände, unter denen möglicherweise jeder in der Lage wäre, andere Menschen zu foltern und sogar zu töten?
Das Milgram Experiment
Der amerikanische Sozialpsychologe Stanley Milgram untersuchte in einem Experiment den Obrigkeitsgehorsam von Menschen. Dieses Experiment ging in die Geschichte ein; interessant und faszinierend, beängstigend und erschreckend, entsetzend und erstaunlich zugleich. Ich habe versucht, das Experiment so kurz wie möglich zusammenzufassen:
Dem Probanden wird in einem manipulierten Los die Rolle des Lehrers zugeteilt. Dass der Schüler in Wahrheit ein Schauspieler ist, wird verschwiegen. Der Schüler wird an einem Stuhl angebunden, wonach ihm Elektroden angeschlossen werden. Den Versuchspersonen wird ein „Schockgenerator“ mit 30 aufsteigend angeordneten Kippschaltern gezeigt, die je um 15 Volt von 15 bis 450 Volt steigen. Zusätzlich waren zu je vier Schaltern die Aufschriften „Leichter Schock“, „Mäßiger Schock“, „Mittlerer Schock“, „Kräftiger Schock, „Schwerer Schock“, „Sehr schwerer Schock“ sowie „Gefahr: Bedrohlicher Schock“ angebracht, die letzten beiden Schalter trugen die Aufschrift „XXX“. Der Versuchsleiter sagt aus, dass die Schocks zwar äußerst schmerzhaft sein können, allerdings nicht zu dauerhaften Gewebeschäden führten.
Der „Test“ besteht darin, dass der Schüler gewisse Fragen gestellt bekommt, die er möglichst korrekt beantworten soll. Die Aufgabe des Lehrers ist nun, dem Schüler bei einer falschen Antwort einen Elektroschock zu verpassen und bei der nächsten falschen Antwort den nächsten Schalter zu betätigen (15 Volt höher). (Natürlich erhält der Schauspieler in Wahrheit keinen wirklichen Schock, er täuscht ihn lediglich vor.) Beim fünften Schock angelangt (75 V), beginnt der Schüler zu stöhnen und zu klagen. Bei 150 Volt möchte der Schüler das Experiment abbrechen und bei 180 Volt schreit er, dass der Schmerz nicht mehr aushaltbar sei. Beim Betätigen des mit „Gefahr: Extremer Stromstoß“ gekennzeichneten Knopfes hört er das Opfer im Nebenraum an die Wand hämmern. Der Schüler fleht regelrecht darum und wiederholt mehrere Male: „Lasst mich raus! Lasst mich raus! Lasst mich raus!“ Die Tonbandaufnahme dazu:
Der Versuchsleiter erklärt dem Probanden, dass keine Antwort eine falsche sei und fordert den Lehrer auf weiterzumachen.
Es gab verschiedenste Reaktionen der Versuchspersonen, jedoch gehorchten sie im Allgemeinen den Anweisungen des Versuchsleiters. Auffällig war, dass die Probanden häufig versuchten, ihr Opfer so wenig wie möglich wahrzunehmen und ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Versuchsleiter zu richten. Dieses Ereignis bezeichnete Milgram als „Einstimmung auf die Autorität“. Einige lachten aufgrund ihrer Verlegenheit sogar, als das Opfer aufschrie.
Manche der Probanden verlangten zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt die Versicherung, dass sie nicht haftbar gemacht werden können bzw. dass die Verantwortung vollständig beim Versuchsleiter sei. Mehr als 62 Prozent gingen bis zum Ende der Skala (450 Volt), auch wenn einige Versuchspersonen durch vier sich steigernde Aufforderungen des Versuchsleiters (Bitte fahren Sie fort! – Bitte machen Sie weiter! – Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen! – Sie müssen unbedingt weitermachen! – Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!) dazu gedrängt werden mussten.
Nach Ende des Experiments fand mit jeder Versuchsperson ein aufklärendes Gespräch statt. Milgrams Experiment wurde vielfach und in verschiedenen Variationen wiederholt und in allen Fällen ließ sich ein bedeutsames Maß an Gehorsam feststellen. Überall reagierten die Menschen, Mann oder Frau, ähnlich wie in Milgrams Versuch. In Nachbefragungen gaben 83,5 Prozent der gehorsamen Versuchspersonen und 83,3 Prozent der Ungehorsamen an, sie seien froh, an dem Experiment teilgenommen zu haben.
Die fundamentalste Erkenntnis der Untersuchung sei, dass ganz gewöhnliche Menschen, die nur ihre Aufgabe erfüllten und keinerlei persönliche Feindschaft empfänden, zu Handlungen in einem Vernichtungsprozess veranlasst werden könnten(Fn6). „Der Schlüssel zum Verhalten von Personen liegt nicht in einem aufgestauten Ärger oder in Aggression, sondern in ihrer Beziehung zur Autorität“, so Milgrams Urteil. Seine Studie zeigte, dass Menschen oftmals grausamer waren, als sie es sich selbst zuvor eingestanden hätten, wenn der an sich unspektakuläre Faktor hinzukam, dass sie ihre Verantwortung „abgeben“ konnten. Auch einige unter meinen Lesern glauben vielleicht, dass sie anders reagiert hätten. Doch die Studie zeigte, dass dem nicht so ist. Vielleicht hätte ich selbst auch bis 450 Volt weitergemacht. Gott bewahre!
Der kanadische Psychologe Albert Bandura sagt des Weiteren: „Gib einem Menschen eine Aufgabe, und er wird alles tun, egal wie grausam es ist.“ Erhalten wir eine Aufgabe zugeteilt, können wir die Verantwortung auf die „höhere Instanz“ abschieben. Einige von Ihnen werden so Gott will bereits wissen, worauf ich hinaus will.
Theologische Bewertung
2:170 Und wenn ihnen gesagt wird: „Folgt dem, was Gott hinabsandte“, sagen sie: „Nein! Wir folgen nur dem Weg unserer Väter.“ Wenn nun aber ihre Väter nichts verstanden haben und nicht rechtgeleitet waren?
6:116 Wenn du der Mehrzahl derer auf Erden gehorchst, werden sie dich wegführen von Gottes Weg. Sie gehen nur Vermutungen nach und raten nur.
26:74 Sie sagten: „Nein, aber wir fanden unsere Väter das tun (was wir tun).
32:34 und 28:36 Wir haben von unseren Vorfahren nie dergleichen gehört.
31:21 Wenn ihnen gesagt wird: „Folgt dem, was Gott herabgesandt hat!“ sagen sie: „Wir folgen den Wegen, auf denen wir unsere Väter fanden.“
53:39 Dass dem Menschen nichts anderes zuteil wird als das, wonach er strebt.
6:164 …und keine Seele wirkt, es sei denn gegen sich selbst, und keine lasttragende (Seele) soll die Last einer anderen tragen…
82:19 An jenem Tag wird keine Seele etwas für eine andere Seele zu tun vermögen; und der Befehl an jenem Tage steht einzig Gott zu.
Ich möchte diesen Artikel nicht mit Koranversen überfüllen, aber auch nicht die relevanten Verse vorenthalten. Deshalb gebe ich hier für die Interessierten und Neugierigen eine Liste von relevanten Koranversen an: 67:1-2, 18:7, 7:56, 23:115, 51:56, 13:26, 67:2, 21:34-35, 3:185-186, 2:155-157, 6:59, 94:5-6, 17:4, 2:286.
Ob Sie nun ein gläubiger Mensch sind oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle. Es ist zu leicht, die Verantwortung auf andere abzuschieben („er trieb mich dazu“, „wenn er nicht da wäre, hätte ich’s nicht gemacht“, „das haben doch unsere Vorväter auch so gemacht“, oder gar „eigentlich war er es“). Selbstbelügung, Ignoranz, „Missverständnisse und Trägheit verursachen mehr Irrungen in der Welt als List, Feindseligkeit und Bosheit. Wenigstens sind die letzteren gewiss seltener.“ Nach dem Gewissen zu handeln kann durchaus auch einmal bedeuten persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Zum Beispiel sich auch einmal gegen eine Mehrheit zu stellen, wenn etwas als falsch erkannt wurde. „Ein gutes Gewissen ist besser, selbst in einem schlechten Kerker“, meinte Ernst Wiechert. Wichtig ist auch, die Sensibilität gegenüber der Ungerechtigkeit zu bewahren. Die erste falsche oder schlechte Tat fällt vielleicht noch schwer, aber mit zunehmender Wiederholung – auch in verschiedenen Varianten der Tat – stumpfen wir für gewöhnlich ab. Wir sehen alles so, wie wir sehen wollen, bis wir es anders sehen müssen. Statt die schlechten Taten irgendwie zu rechtfertigen, sollten wir sie offen und direkt zugeben. Wir müssen uns also dazu zwingen, dass wir eine Sache anders betrachten müssen, als wir wollen. Ehrlichkeit, Geduld und Aufrichtigkeit sind dabei enorm wichtig. Ohne sie kann keine wirkliche Erkenntnis entstehen. Nur das, was aus Geduld und sorgfältiger Überlegung entsteht, kann reifen und zu etwas Fruchtbarem gedeihen!
Gott hat uns unseren Verstand und unser Herz geschenkt. Dieser gnadenreiche Wille Gottes zeigt, dass Er uns Freiheit und damit viel Verantwortung gegeben hat, vor allem für uns selbst. Unser Gewissen kann uns helfen, uns mit unseren Unzulänglichkeiten, Schwächen und Boshaftigkeiten auseinanderzusetzen, damit wir unser Herz reinigen können.
Doch nicht nur unser Gewissen, m. E. eine menschliche Kombination aus Verstand und Herz, sondern auch die Wissenschaft hilft uns bei der Reinigung der menschlichen Seele, indem sie mit aller Offenheit auch die unbequemen Wahrheiten offenlegt/entdeckt. Wir können von der Wissenschaft, dem Buch Gottes in der Natur, viel lernen und unser Weltbild erneuern.
Psalm 111:2-5 Groß sind die Werke des HERRN; wer sie erforscht, der hat Freude daran. Was er tut, das ist herrlich und prächtig, und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige HERR. Er gibt Speise denen, die ihn fürchten; er gedenkt ewig an seinen Bund.
41:53-54 Bald werden Wir sie Unsere Zeichen sehen lassen überall auf Erden und an ihnen selbst, bis ihnen deutlich wird, dass es die Wahrheit ist. Genügt es denn nicht, dass dein Herr Zeuge ist über alle Dinge? Höret! Sie sind im Zweifel über die Begegnung mit ihrem Herrn. Siehe, Er umfasst alle Dinge.
13:11 … Gott verändert den Zustand eines Volkes nicht eher, bis die Menschen ihren Zustand selbst geändert haben.
35:18 Und kein Sünder kann die Last eines andern tragen; Und wenn eine schwerbeladene um ihrer Last willen ruft, soll nichts davon getragen werden, auch wenn es sich um einen Verwandten handelte. Du kannst die allein warnen, die Ehrfurcht vor ihrem Herrn auch im Geheimen (wenn sie allein sind) haben und das Kontaktgebet verrichten. Und wer sich reinigt, der reinigt sich nur zu seinem eigenen Vorteil. Und zu Gott soll die Heimkehr sein.
Der Sinn des Jenseits besteht darin, unser Gewissen anzusprechen. Wir sind keine perfekte Wesen und machen Fehler. Es ist wahrlich schwer, sich die eigenen Fehler einzugestehen. Nichtsdestotrotz sollten wir dies jeden Tag versuchen und hoffen, dass unsere Mitmenschen aktiv ins Geschehen eingreifen und uns gegebenfalls auf unsere Fehler aufmerksam machen (der „Dschihad“ mit uns selbst).
16:60 Diejenigen, die an das Jenseits nicht glauben, besitzen die Eigenschaft des Bösen. Gott besitzt die höchste Eigenschaft, und er ist der Mächtige, der Weise.
Dieser Vers spricht genau diesen Punkt an. Wer die Begegnung mit dem Herrn ableugnet oder sie ignoriert, vergisst auch das Konzept der Verantwortlichkeit eigener Taten. Das Konzept des Jenseits ist das Konzept der Verantwortlichkeit. Wer dies ignoriert, betrachtet sich selbst als – bewusst oder unbewusst – verantwortungslos und wird, wo er im Allgemeinen ein gutmütiger und friedlicher Mensch war, in den bestimmten Situationen zum Werkzeug der Maschinerie des Verderbens. Nur bei einer Verbundenheit mit Gott und Seinem Wort wird einem die eigene Verantwortlichkeit immer wieder aufs Neue vor Augen geführt. Deshalb:
Hinterfragen Sie alles und denken Sie daran, sobald eine einzige Stimme erhoben wird, folgen andere diesem Beispiel. Das liegt in der Natur des Menschen. Sie müssen nur den Mut haben, Gott zuliebe als Erste/r einzuschreiten! Bleiben Sie kritisch und hinterfragen Sie alles. Stellen Sie sich vor, dass Sie eines Tages vor Gott stehen und wegen Ihrer Taten zur Rechenschaft gezogen werden und Ausreden werden nicht gelten.
43:44 … und ihr werdet wahrlich zur Rechenschaft gezogen werden.
58:13 … Und Gott ist wohl kundig dessen, was ihr tut.
99:7-8 Wer ein gutes Werk im Gewicht eines Stäubchens verrichtet hat, wird es dann sehen. Und wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Böses tut, der wird es dann schauen.
Fußnoten
1- Bei einer Metapher (griechisch, von metà phérein „anderswohin tragen“) wird ein Wort nicht in seiner wörtlichen, sondern in einer übertragenen Bedeutung gebraucht, wobei zwischen der wörtlich bezeichneten Sache und der übertragen gemeinten eine Affinität („Ähnlichkeit“) vorhanden ist.
2- Die Allegorie („etwas anders ausdrücken“) ist eine Form indirekter Aussage, bei der eine Sache (Ding, Person, Vorgang) aufgrund von Ähnlichkeits- und/oder Verwandtschaftsbeziehungen als Zeichen einer anderen Sache (Ding, Person, Vorgang, abstrakter Begriff) eingesetzt wird. (Quelle: Wiki)
3- Ein Beispiel für eine weitere verzerrte Vorstellung über das Jenseits aufgrund sunnitischer Interpretationen lautet wie folgt: „Die Hölle ist als Feuergrube gedacht, über die eine schmale Brücke in den Himmel führt. Alle Seelen der Toten müssen über diese Brücke gehen, lediglich die Verdammten fallen ins Feuer, wenn sie nicht durch die Gnade Gottes erlöst werden.“ Diese und auch weitere, „zu menschlich orientierte“ Vorstellungen entstammen aus den Hadith-Büchern, deren Inhalte zu Unrecht dem Propheten Mohammed untergejubelt werden. Das Höllenfeuer steht i. A. für die unsäglichen Schmerzen, die ein von Gott verurteilter Mensch in der Gottesferne erleiden wird.
4- Quellen und weitere Links zum Stanford Prison Experiment:
http://www.prisonexp.org/ (egl.)
Das Stanford-Gefängnis-Experiment: Eine Simulationsstudie über die Psychologie der Haft
Homepage von Philip G. Zimbardo (egl.)
Stanford-Prison-Experiment (wiki)
5- Meiner Meinung nach ist Zimbardos Ergebnis nicht vollständig, dass die Versuchspersonen allein die Rolle verinnerlicht hätten. Sowohl die Natur als auch der momentane Zustand eines Menschen bestimmen aus meiner Sicht das menschliche Handeln. Das Leben ist verwobener und komplexer, als es scheint.
6- Milgram, Stanley (1982): Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität. Reinbek bei Hamburg, S. 22.
Quellen und weitere Links zum Milgram-Experiment:
Milgram-Experiment (Wiki)
Die Milgram-Experimente
Dr. Thomas Blass Presents: Stanley Milgram.com
Grausame Schule (egl.)
„Wie stark dieser Einfluss [Anm. d. A.: der Agens-Zustand] ist, belegt ein Versuch mit 22 Krankenschwestern, die während einer Vorbesprechung alle einstimmig angaben, unter keinen Umständen einen Patienten wissentlich zu schädigen. Wenige Tage später erhielten ebendiese Schwestern auf ihrer Station einen Anruf von einem Unbekannten, der sich als Arzt ausgab. Seine Forderung: Die Frauen sollten einem Patienten 20 Milligramm eines bestimmten Medikaments verabreichen. Dieses Medikament befand sich in einer Packung mit der ausdrücklichen Warnung, dass bereits zehn Milligramm die zulässige tägliche Höchstdosis darstellen – die doppelte Menge wäre damit tödlich. Obwohl keine der Schwestern den angeblichen Arzt kannte, zogen 21 von ihnen die Todesspritze, in Wirklichkeit ein Placebo, auf. Nur eine einzige weigerte sich, den Anweisungen zu folgen. Erschütternd? Nein – steigerungsfähig: Eine Auswertung von 75 Flugzeugunglücken zeigte, dass 25 Prozent der Unfälle hätten vermieden werden können. Warum? Weil die Piloten offensichtlich Fehlentscheidungen trafen. Dennoch stellte sich keiner der Co-Piloten gegen diese Entscheidungen – sie nahmen eher den Tod in Kauf.“ (Welt der Wunder, Ausgabe 10/07, Seite 70)