Hat die Geschichte Lots etwas mit Homosexualität zu tun oder nicht?
Als Arabischsprechender ist mir diese Frage unverständlich. Weder in meinem früheren Sunni-Leben noch in den letzten 11 Jahren, als ich mich entschieden habe, den Qur’an als einzige göttliche Quelle meiner religiösen Überzeugung zu sehen, habe ich etwas anderes von der Geschichte Lots verstanden, als dass sie über den Unglauben und die Homosexualität seines Volkes spricht. Mein Verständnis der Geschichte Lots ergab sich immer direkt aus dem Qur’an, auch wenn ich natürlich die Details in der Sunna ebenfalls kannte, doch die Essenz, wonach es um Homosexualität geht, war mir beim wiederholten Lesen der Geschichte und ihrer Gegebenheiten im Qur’an stets klar.
Durch den Artikel von Bruder Amin fühlte ich mich aber gezwungen, mich tiefer mit der Geschichte auseinanderzusetzen – auf der alleinigen Grundlage des Qur’an.
Meiner Meinung nach sind Bruder Amin bei seiner ausführlichen Untersuchung einige Fehler unterlaufen, unter anderem:
1. Er hat sich nicht immer an seine Vorgabe gehalten, sich nur am Qur’an zu orientieren
2. Er hat bei der Übersetzung und seiner Interpretation das Qur’an-Arabisch und den Kontext zu wenig oder gar nicht berücksichtigt; ich werde das später genauer erklären.
Zum 1. Punkt:
Ich glaube wir sind uns alle einig, dass folgende Qur’anverse berücksichtigt werden müssen bei der ganzen Diskussion:
Genügt es ihnen denn nicht, daß Wir dir das Buch herniedergesandt haben, das ihnen verlesen wird? Wahrlich, hierin ist eine Barmherzigkeit und Ermahnung für ein Volk, das glaubt. [Qur’an 29:51]
So legen Wir die Verse dar, damit sie sagen können: „Du hast geforscht“, und damit Wir sie für die Leute, die Wissen haben, klar machen. Folge dem, was dir von deinem Herrn offenbart wurde, es ist kein Gott außer Ihm und wende dich von den Götzendienern ab. [Qur’an 6:105-106]
Das Buch Allahs soll uns genügen. Die Verse sollen wir genau lesen und gründlich untersuchen, dann macht Allah sie für die Wissenden klar.
Anschliessend folgt der ausdrückliche Befehl Allahs, dem zu folgen, was Er offenbart hat, denn es gibt niemanden ausser Ihm, der die Befehlsgewalt besitzt und die volle Wahrheit kennt. Dabei mahnt Er uns, sich von denen abzuwenden, die der Vielgötterei, dem Schirk, huldigen. Leider hat Bruder Amin in seiner Argumentation nicht darauf vertraut. Obwohl er 43 Verse über und rund um die Geschichte Lots erwähnt hat, bediente er sich sage und schreibe 18 zusätzlicher Quellen, um sein beabsichtigtes Verständnis der Geschichte von Lot zu untermauern. Bedarf der Qur’an tatsächlich der Nachhilfe, ist er allein zu undeutlich?
Folgt dem, was zu euch von eurem Herrn herabgesandt wurde, und folgt keinen anderen Beschützern ausser Ihm. Wie wenig seid ihr (dessen) eingedenk! [Qur’an 7:3]
Wenn der Qur’an so unverständlich gewesen wäre, hätten die Quraischiten zu Lebzeiten desGesandten Muhammads, Friede mit ihm, einen willkommenen Beweis gehabt, dass der Qur’an gar nicht von Gott sein könne. Die damaligen Araber sagten aber nie, dass der Qur’an undeutlich sei, im Gegenteil! Weil sie ihn sehr wohl verstanden, aber ihnen der Inhalt nicht immer passte, forderten sie einen anderen, der ihren Neigungen eher entsprechen würde. Darüber steht folgendes:
Und wenn ihnen Unsere deutlichen Verse verlesen werden, sagen jene, die nicht mit der Begegnung mit Uns rechnen: „Bring einen Qur’an, der anders ist als dieser oder ändere ihn.“ Sprich: „Es steht mir nicht zu, ihn aus eigenem Antrieb zu ändern. Ich folge nur dem, was mir offenbart wurde. Ich fürchte, falls ich meinem Herrn ungehorsam bin, die Strafe eines gewaltigen Tages.“ [Qur’an 10:15]
Gegenstand der damaligen Auseinandersetzung war also nicht das Verständnis, sondern der Gehorsam gegenüber dem Qur’an.
Das ist genau der Gehorsam, den Allah von mir, Bruder Amin und allen, die an Ihn glauben, verlangt, nämlich dem Buch und nur dem Buch allein zu folgen.
Das Verständnis der Botschaft des Qur’ans und seinen Details entnimmt ein Muslim dem Qur’an selbst. Mit der Zeit entwickelt man das Gespür, wie er die Glaubensprinzipien beschreibt, die Gebote und Verbote vermittelt, die vielfältigen Geschichten erzählt, damit daraus Lehren gezogen werden können, und wie er eine Orientierung für unser Leben und ein Licht von Allah zur klaren Sicht der Dinge ist.
Die 18 ausserqur‘anischen vom Autor zitierten Quellen bestehen aus Lexikon Referenzen, der „geographische Geschichte des Qur’ans“ von Muzzafar ud-Din Nadvi, Wortbedeutung von Günter Lüling in seinem Buch „Über den Ur-Quran“, Muhammad Alis Kommentaren zu seinem „The Holy Quran“, Reclams Bibellexikon, dem Archäologischem Bibel-Lexikon, Wikipedia, „Homosexuality and the Western Christian Tradition“ von Derrick S. Bailey, „Kulturgeschichte des Orients“ von Alfred von Kremer, „Rabbinic Legends in Hadith“ von Samuel Rosenblatt, The Jewish Encyclopedia, The Authenticity of the Tradition Literature von Juynboll und von E.W. Lane in seinem „Arabic-English Lexicon“. Von letzterem hat sich der Bruder bestätigen lassen, dass Lot ja „faithful“, also ehrlich gewesen sei.
Ich bin der Überzeugung, dass wir all dies nicht brauchen, denn alle Geschichten im Qur’an wurden uns von unserem Schöpfer erzählt.
Wir berichten dir die schönsten Geschichten dadurch, daß Wir dir diesen Qurʾān (als Offenbarung) eingegeben haben, obgleich du zuvor wahrlich zu den Unachtsamen gehörtest. [Qur’an 12:3]
Wer ist denn besser als Allah, um uns die Geschichten von früheren Propheten und Gesandten mit ihren Völkern wahrheitsgetreu zu erzählen?
Und Wir berichten dir von den Geschichten der Gesandten, um dein Herz zu festigen. Und hierin ist die Wahrheit zu dir gekommen und eine Ermahnung und eine Erinnerung für die Gläubigen. [Qur’an 11:120]
Das Festigen des Herzens geschieht ausschliesslich über die Wahrheit, die man durch das Wort des Barmherzigen erfährt. Wenn das für unseren geliebten Propheten eine Bedingung war, an die er sich halten musste, wie kann das für uns anders sein?
Bei einer der erwähnten Quellen war ich besonders schockiert. Haben wir wirklich die Hilfe von jemandem nötig, der im Grunde den Qur‘an schmähen will? Günter Lülings Buchtitel wurde im Artikel nur zum Teil zitiert. Der vollständige Titel bei Amazon lautet:
Über den Ur-Qur’an. Ansätze zur Rekonstruktion vorislamischer christlicher Strophenlieder im Qur’an, Gebundene Ausgabe – 1. Januar 1974 von Günter Lüling (Autor)
Ur-Quran? Ich konnte meinen Augen kaum glauben, als ich diese gewagte Buchbenennung gelesen habe. Mehr Zeit verlieren über einen solchen Affront gegen Allah und Sein Buch möchte ich nicht, obwohl ich einiges mehr dazu zu sagen hätte.
Ich zitiere aber den werten Lesern einen kleinen Ausschnitt aus einer Rezension dieses Buches, welche in der FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) erschienen ist und so lautet:
Günter Lüling, deutscher Orientalist und Theologe, verbirgt sich nicht hinter einem „nom de plume“. Seit vierzig Jahren bemüht er sich um ein angemesseneres Verständnis des heiligen Buches der Muslime. Und was er vorzubringen hat, ist brisant vor allem für jene, die immer auf der Unantastbarkeit von Texten und Überzeugungen beharren.
Die ganze Rezension kann man unter dem folgenden Link abrufen: Über christliche Strophen im Koran. Sie setzt leider eine Registrierung für Nicht-Abonnierte voraus.
Lassen wir lieber den Qur’an zu Wort kommen:
Mit dir werden weder die Juden noch die Christen zufrieden sein, bis du ihrem Bekenntnis gefolgt bist. Sprich: „Die Rechtleitung Allahs ist doch die wahre Rechtleitung.“ Und wenn du ihrem Ansinnen folgst, nachdem zu dir das Wissen gekommen ist, so wirst du vor Allah weder Freund noch Helfer haben. [Qur’an 2:120]
Wer aber als Religion etwas Anderes als den Islām begehrt, so wird es von ihm nicht angenommen werden, und im Jenseits wird er zu den Verlierern gehören. [Qur’an 3:85]
Bruder Amin hat also einerseits „fremde Hilfe“ geholt in ausserqur’anischen Quellen, um seine Interpretationen zu untermauern, doch gleichzeitig dort, wo sie ihm nicht passten, einschränkend angefügt:
„Der Sodom-Mythos ist nichts weiter als eine Art Fabel, phantasievolle Erfindung, auf die sich die Generation der mawâlî als ehemalige Christen und Juden stützte. Diese Worte sind eine zu schwache Basis als Argument in einer Interpretation. So können wir uns nur an die Worte des Qur’âns halten.“
Ich finde, nur weil Konfessionsmuslime, Christen und Juden trotz ihrer zum Teil falschen Überzeugungen an der Ablehnung der gelebten Homosexualität festhalten, heisst das nicht automatisch, dass das Gegenteil richtig ist. Dass er sich nur an die Worte des Qur’an halte, hat der Autor, wie vorhin erklärt, nicht ganz eingehalten.
Kommen wir zum 2. Punkt: Falsches Verständnis diverser Qur’anworte.
Ich möchte meinen Geschwistern ein paar Schlüsselverse des Qur’an zukommen lassen über das Volk Lot, damit sie selbst urteilen können, was der eigentliche Sinn sein könnte.
Ich stelle beide Übersetzungen einander gegenüber.
1. Übersetzung
Diese ist die gängige und auf Qur’an-Arabisch sinngemässe Übersetzung. Allah sagt:
Und (Wir sandten) Loṭ, als er zu seinem Volk sagte: „Wollt ihr denn das Abscheuliche begehen, wie es vor euch niemand von den Weltenbewohnern begangen hat? Ihr laßt euch doch wahrlich in Begierde mit den Männern ein anstatt mit den Frauen. Aber nein! Ihr seid maßlose Leute. [Qur’an 7:80-81]
2. Übersetzung
Bruder Amin hat diese Verse gemäss seinem Verständnis so umgeschrieben:
Und [Wir entsandten] Lot, da er zu seinem Volk sprach: „Wollt ihr etwas Abstoßendes begehen, worin keiner in aller Welt euch vorangegangen ist. Ihr kommt zu Männern bei einem Begehren, nicht [auch] zu den Frauen. Nein, ihr seid ein das Maß überschreitendes Volk [qaum musrifûn].“ (Qur’an 7:80-81)
Schon bei näherem Betrachten der 2. Übersetzung und bevor wir auf die arabische Fassung eingehen, sieht jeder mit gesundem Menschenverstand, dass diese Interpretation entstellt ist.
Denn wie könnte ein kollektives Kommen mit einem Begehren zu Männern und nicht auch zu den Frauen etwas derartig Abstossendes sein, dass es niemand von den Weltenbewohnern vor der Zeit Lots begangen hat?
Und was könnte daran masslos bzw. überschreitend gewesen sein? Ausserdem, wo steht im Qur’an auch nur einmal, dass es ein Vergehen ist, mit einem Begehren (im Sinne von Wunsch) nur zu den Männern und nicht auch zu den Frauen zu kommen?
Der Autor will uns glaubhaft machen, Allah habe zwar etwas Abstossendes beanstandet, aber nicht näher erklärt, worum dies genau geht. Ist nicht der Qur’an in all seinen Verboten sehr deutlich? Und ausgerechnet hier sollen wir mit einem Rätsel alleingelassen werden?
Wie könnte uns dann diese Geschichte als Lehre dienen, wenn wir nicht einmal wüssten, was genau so abstossend und mass- oder soll ich sagen, grenzüberschreitend war?
Die Geschichte Lots ist klar und eindeutig, und ich werde im Folgenden vertieft darauf eingehen:
Untersuchen wir jetzt die arabischen Worte im Vers; allem voran der Ausdruck „Kommen“.
In der 2. Übersetzung wird dieses Wort als das Gegenteil vom „Gehen“ wiedergegeben. Hier liegt der eigentliche Fehler beim Verständnis dieses Wortes. Bruder Amin denkt, es handle sich um ein Kommen oder nicht Kommen mit einem Begehren. Aber leider können Unkenntnis und Vernachlässigung der Besonderheit vom Qur’an-Arabisch, sowie die ungenaue Übersetzung vom klassischen Arabisch in die Irre führen.
Das Wort „a’taa (Vergangenheitsform)/ya’ty (Gegenwartsform)“ im Qur’an ist ein Wort mit einem breiten Sinnspektrum (Engl. umbrella term), das je nach Kontext verschieden verstanden werden kann. Der Stamm dieses Wortes bildet sich aus den Buchstaben hamza tā yā (أ ت ي) und kommt 549x im Quran vor.
Hier ein paar Beispiele mit Erklärung, welche Bedeutung das Wort annehmen kann.
Und wenn ihr im Zweifel seid über das, was Wir auf Unseren Diener herabgesandt haben, so bringt (fa’atu) doch eine Sura gleicher Art herbei und beruft euch auf eure Zeugen außer Allah, wenn ihr wahrhaftig seid. [Qur’an 2:23]
Hier ist klar: mit dem Verb in der Befehlsform (bringt =„fa’atu“) ist nicht ein Kommen gemeint, sondern ein Bringen, im Sinne vom Vorweisen, um die von Allah gestellte Herausforderung anzunehmen und eine Sura wie im Qur’an zu verfassen mit dem Ziel, dessen göttlichen Ursprung abzustreiten.
Und diejenigen, die kein Wissen besitzen, sagen: „Warum spricht Allah nicht zu uns und sendet uns (ta’tina) kein Zeichen?“ So, wie sie reden, redeten auch diejenigen vor ihnen. Ihre Herzen sind einander gleich. Wir haben die Ayat klargemacht für Leute mit sicherem Glauben. [Qur’an 2:118]
In diesem Vers wird dagegen das Wort „ta’tina“ mit „sendet uns“ im Sinne von „zu uns herabkommt“. Denn selbstverständlich haben die Zeichen keine wirklichen Beine, um zu den Verleugnern des Qur’ans zu kommen.
Sie fragen dich nach den Neumonden. Sprich: „Sie sind festgesetzte Zeiten für die Menschen und den Hagg.“ Und es ist keine Frömmigkeit, wenn ihr Häuser von der Rückseite betretet. Frömmigkeit ist vielmehr, (Allah) zu fürchten. So geht (ta’tu) in die Häuser durch ihre Türen hinein und fürchtet Allah. Vielleicht werdet ihr erfolgreich sein. [Qur’an 2:189]
Hier wird das Wort (betretet=„ta’tu“) vom selben Wortstamm verwendet und es ist klar, was damit gemeint ist.
Jetzt stelle ich dem Lot-Vers einen anderen Vers gegenüber, bei dem dasselbe Wort „ta’tuna“ verwendet wird und der dieselbe Bedeutung hat wie beim Vers 7:81:
Und sie befragen dich über die Menstruation. Sprich: „Sie ist ein Leiden. So haltet euch von den Frauen während der Menstruation fern und kommt ihnen nicht nahe (la taqrabuhunna), bis sie rein sind; und wenn sie rein sind, dann geht zu ihnen (fa’tuhunna), wie Allah es euch geboten hat. Wahrlich, Allah liebt diejenigen, die sich (Ihm) reuevoll zuwenden und die sich reinigen.“ [Qur’an 2:222]
Das Verb „kommt ihnen nicht nahe“ hat nichts mit dem Verb „a’ta“ zu tun, das wir jetzt am Analysieren sind. Auf Arabisch heisst es „la taqrabuhunna“ im körperlichen Sinne, damit man sich nicht in Lust hineinsteigert und haram begeht – (Engl. don’t come close to them).
Die deutsche Übersetzung ist recht dürftig, denn es heisst einfach „geht zu ihnen wie Allah euch geboten hat“. Wir schauen zuerst einmal, wie es tönt, wenn wir es wortwörtlich wiedergeben:
„Wenn sie rein sind, dann kommt ihnen, wie Allah es euch geboten hat“. Das tönt auf Deutsch ungewöhnlich, aber es gibt uns dennoch einen Hinweis wie es im Qur’an auf Arabisch formuliert wird.
Im Vers 2:222 steht: Kommt ihnen (den Frauen) = fa’tuhunna (Befehlsform)
Im Vers 7:81 steht: Ihr kommt den Männern = ta’tuna Rijaala (Indikativ)
Also keine Präposition, kein Bindewort, nichts. Wir stellen demnach fest, nur um die Genauigkeit der Beschreibung im Qur’an wiederzugeben, dass zwischen Kommt und ihnen bzw. kommt und den Männern nichts steht; was eine unmittelbare Aktion beschreibt.
Im Vers 2:222 geht es klar um einen sexuellen Akt mit den eigenen Frauen, nachdem sie sich von ihrer Periode gereinigt haben. Und wenn es steht: Wie Allah euch geboten hat, dann heisst das, dass die Männer in den Ort einzudringen dürfen, jetzt, wo er wieder rein ist; und zwar in die Scheide, weil nur diese zuvor Menstruationsblut enthielt und jetzt wieder davon befreit, also völlig rein und nun zum Geschlechtsverkehr geeignet ist.
Im darauffolgenden Vers steht:
Eure Frauen sind ein Saatfeld für euch: darum bestellt euer Saatfeld wie ihr wollt. Doch schickt (Gutes) für euch voraus. Und fürchtet Allah und wisset, daß ihr Ihm begegnen werdet. Und verheiße den Gläubigen die frohe Botschaft. [Qur’an 2:223]
Damit weiss jeder Muslim, dass das Saatfeld in Zusammenhang mit Frauen steht, dem Empfängnisort der Saat; wo nach dem Koitus die Samen eintreten, wo dann nach der Verschmelzung mit der Eizelle der Frau, wenn Allah will, ein neues Leben entsteht. Das kommt bekannterweise mit einem Geschlechtsakt zustande.
Der Vers 2:222 lehrt uns darüber hinaus zwei weitere wichtige Dinge im Hinblick auf die eheliche Sexualität:
1. Allah beschreibt mit einfachen, aber anständigen Worten die Intimität des Geschlechtsverkehrs und lehrt uns als Gesellschaft, wie wir auch ohne vulgäre Sprache über Sexualität reden können.
2. Allah weist nur auf einen einzigen Ort für den Geschlechtsverkehrt hin: die Scheide. Das zeigt uns hier wieder deutlich, dass Homosexualität haram ist. Denn wenn sie erlaubt gewesen wäre, würde Allah den Männern auch mit ihren Frauen dasselbe erlauben, was die Homosexuellen miteinander zu tun pflegen, ohne die Tage der Periode abzuwarten, wenn sie die Lust zum Geschlechtsverkehr verspüren würden. Dann hätte die Aussage: „So haltet euch von den Frauen während der Menstruation fern und kommt ihnen nicht nahe, bis sie rein sind“ gar keinen Sinn gemacht.
Jetzt wird uns anhand von demselben Wort in beiden Versen 2:222 und 7:81 klar, dass sich in der Geschichte Lots die Männer seines Volks geschlechtlich aneinander vergingen.
Wie wir sehen können, ist es durchaus möglich, nur mit dem Qur’an allein zur Gewissheit zu kommen, ohne sich anderer Quellen zu bedienen wie Yusuf Alis, Ibn-Kathirs, Al-Qortobis oder At-Tabaris, Ibn-Aashurs oder einer Wortanalyse wie bei Günter Lüling mit seinem angeblichen Ur-Quran oder vom wem auch immer von der sogenannten Gelehrsamkeit.
Alle Muslime könnten selbst und direkt aus dem Qur’an schöpfen und dabei die Rechtleitung und viel Barmherzigkeit erlangen. Bedingungen dafür sind die aufrichtige Absicht, nur den Qu’ran als alleinige Quelle zu nehmen, die eigenen Neigungen abzuwehren, das spezielle Qur’an-Arabisch im Blick zu behalten, schauen, wo die verwendeten Worte sonst noch im Qur’an vorkommen und welche Bedeutung sie dort im Kontext haben und themenähnliche Verse im ganzen Qur’an berücksichtigen, um den Sinn von kontrovers diskutierten Stellen zu erfassen.
An dieser Stelle bin ich fertig mit der Abhandlung dieses 2. Kapitels.
Diejenigen, die sich mit dem Qur’an-Arabisch genauer auseinandersetzen möchten oder gerne erfahren würden, welche anderen Worte noch im Artikel vom Bruder Amin umgedeutet bzw. falsch interpretiert wurden, dürfen gerne weiterlesen. Ich werde aus Zeitgründen nicht alle problematischen Worte besprechen können, aber sicher einige, die meiner Meinung nach prioritär sind.
Unkenntnis des Qur’an-Arabisch kann ungeachtet der guten Absichten zu verheerenden Irrtümern führen. Es geht nicht hier um Fehlerfreiheit, weil das menschlich unmöglich ist, sondern darum, das Menschenmögliche zu unternehmen, Fehler zu vermeiden. Wenn man trotzdem unbeabsichtigt einen Fehler begeht, so sieht Allah uns und ist mit uns Gnädig:
…Und wenn ihr versehentlich darin gefehlt habt, so ist das keine Sünde von euch, sondern (Sünde ist) nur das, was eure Herzen vorsätzlich tun. Und Allah ist wahrlich Allverzeihend, Barmherzig. [Qur’an 33:5]
Bruder Amins Darlegungen haben wahrscheinlich für viele Menschen etwas Anziehendes, da sie liberal und progressiv daherkommen und viele Muslime sich den Islam als vereinbar mit den heutigen und hiesigen Wertvorstellungen wünschen würden. Wir dürfen uns jedoch nicht von unseren Wünschen blenden lassen, sondern sind in der Pflicht, zu untersuchen, was Allah will und uns dann daran zu halten – auch wenn es uns vielleicht nicht gefällt. In einem ersten Schritt müssen wir also unser Gewissen befragen und im zweiten Schritt uns gründlich mit der Materie auseinandersetzen.
Am Tag der Abrechnung werden wir alle vor Allah stehen und persönlich über unsere Taten befragt werden. Deshalb sind die persönliche Bemühung und die eigene Verantwortung so wichtig. Es ist besser, sich nach bestem Wissen und Gewissen selbst zu bemühen, das Buch Allahs zu verstehen und sich seine Meinung nach Anhörung von anderen Menschen selbst zu bilden, und vielleicht sogar einmal Fehler zu machen, als dass man blindlings einem Menschen folgt.
Das bedeutet, dass die werten Leser auch meine Ausführungen, wie ich im 1. Kapitel schon sagte, genau unter die Lupe nehmen sollten und sich vergewissern müssen, ob das, was ich sage, Sinn macht und vor allem, ob es mit dem Geist des Islams, welcher nur im Qur’an zu finden ist, übereinstimmt. Schlussendlich muss jeder selbst die Konsequenzen tragen und vor Allah verantworten.
Folgendes habe ich bei Bruder Amins Interpretation zu beanstanden:
– dass zusätzliche Worte in die Verse eingeschoben werden, die in der arabischen Version gar nicht vorkommen. Damit wird deren intuitive Bedeutung entfremdet
– dass bestimmte Worte bei der Deutung verwässert werden, so dass sie mit dem eigentlichen arabischen Begriff nicht mehr übereinstimmen
– dass Verse so entstellt werden, dass eine ganz andere und fremde Lehre daraus gezogen werden kann, als die darin unmittelbar Wahrgenommene
– dass zusammenhängende Geschichtsteile voneinander abgetrennt und so von ihrem Sinn wegplatziert werden, weil sie keine richtige Einheit bilden
– dass sprachliche Finessen des Qur’ans nicht beachtet werden
– dass selektiv nur eine Seite gewisser Geschichten im Qur’an erzählt wird, um die eigene Meinung zu bekräftigen, aber andere Teile derselben verschwiegen werden, weil sie sonst einen anderen Sinn erhalten hätten, als vom Autor gewünscht
– dass gewisse Tatsachen verleugnet werden, damit das Resultat der eigenen Überzeugung nicht zuwiderläuft
– dass fremde Gegebenheit miteinbezogen werden, die keinen nachvollziehbaren Bezug zur eigentlichen Geschichte haben
– dass die Wahrheit Allahs zurückgewiesen wird
– dass Verse, welche vom Sinn her ähnliche Worte enthalten, die erlauben würden, sich das richtige Verständnis anzueignen, nicht beachtet werden
Für jeden der vorgebrachten Punkte werde ich mindestens ein Beispiel geben.
Als Übersicht über die Ausdrücke im Qur’an, deren Sinn Bruder Amin geändert hat, habe ich die folgende Liste erstellt mit der deutschen Übersetzung, deren Transliteration (Umschrift) sowie der arabischen Schrift. Ich gehe auf jedes Wort danach einzeln ein und zeige, was daran falsch ist:
- Das Volk = (Qaum / قَوْم) als Mann und Frau – Vers 7:80
- Nicht [auch] mit Frauen = (min dunin Nisa’i / مِنْ دُونِ النِّسَاءِ) – Vers 7:81
- Etwas Abstossendes = (Al fahischah / الْفَاحِشَةُ) – Vers 7:80
- Ein Begehren = (Schahwatan / شَهْوَةً) – Vers 7:81
- Sich nicht am Kult fremder Götter beteiligen (yatathahharuun = يَتَطَهَّرُونَ ) – Vers 27:56
- Die Gesandten als einfache, fremde Leute (Al-Mursalun = الْمُرْسَلُونَ ) – Vers 15:61
- Leute, die man in der aussichtlosen Situation besser verleugnet (Qaumun munkarun = قَوْمٌ مُنْكَرُونَ) – Vers 15:62
- Ihn von seinen Gästen abwendig zu machen (raauaduhu a’an dayfih = رَاوَدُوهُ عَنْ ضَيْفِهِ) – Vers 54:37
- Dies sind meine Töchter [nehmt sie als Garanten für mein und meiner Gäste Wohlverhalten (ha u’lai Banati in kuntum fa’ilyn = هَؤُلَاءِ بَنَاتِي إِنْ كُنْتُمْ فَاعِلِينَ) – Vers 15:71
Alle oben aufgelisteten Worte von 1-9 auf Deutsch sind Übersetzungen in Versen, die Bruder Amin gemäss seinem Verständnis umgeschrieben hat.
Jetzt zu den ausführlichen Erklärungen
1. Die Übersetzung: Das Volk (Qaum = قَوْمْ) als Mann und Frau – Vers 7:80
Bruder Amin schrieb:
„Die traditionelle Argumentation führt als Beleg für ein Verbot von Homosexualität die Verse über Lot und sein Volk an.
Was aber sagen diese Verse tatsächlich aus?
Kein Wort im Qur’ân deutet an, dass die Passagen von Lot und seinem Volk im sexuellen Sinne zu verstehen seien. Ganz im Gegenteil. Es gibt 4 Passagen (7:80-81; 26:165-166; 27:54-55; 29:28-29), in denen Lot sein Volk tadelt, die alle mit denselben Worten eingeleitet werden.
“wa lûTan id qâla li-qaumi-hi” (و لوطا اذ قال لقومه) , „und (gedenke) Lots, als er zu seinem Volk (allen Männern und Frauen) sprach“ in mehreren Koranversen.
Der Leser wird in allen diesen Fällen besonders darauf hingewiesen, dass Lot alle Männer und Frauen seines Volkes, seiner Leute, in seinen Tadel einschliesst.“
Der Autor behauptet, der Tadel sei an beide; Männern und Frauen gerichtet. Wenn er aber erwartet, dass Allah bei einem Tadel, bei dem nur die Männer angesprochen sind, folgendes sagen würde: „Und gedenke Lots, als er zu den Männern sprach…!“ oder „als er (Lot) sagte: Oh ihr Männer…“, dann liegt er falsch. Denn das ist nicht die Art, wie die Propheten die Menschen ansprechen. Ebenfalls gibt es nirgendwo im Qur’an eine direkte Rede Allahs, die nur an die Männer gerichtet ist. Er spricht sie an, aber ohne sie direkt mit ihrem Geschlecht zu rufen. Die Begriffe Mann/Frau bzw. Männer/Frauen oder deren Personalpronomen kommen zwar schon vor, aber nicht als direkte Rede. Wenn sie auftauchen, wissen wir, wer gemeint ist. Wenn nicht, dann ist es der Kontext selbst, der uns zeigt, ob es sich um Männer allein, Frauen allein oder um beide handelt, wie übrigens in jeder Sprache.
Qaum bedeutet im allgemeinen Sinne tatsächlich Volk, Männer und Frauen zusammen, kann aber auch je nach Zusammenhang ein Geschlecht betreffen, wie hier in Lots Geschichte, wo nur Männer angesprochen werden.
Was lässt mich so sicher sein?
Der Beweis dafür, dass damit nur Männer gemeint sind, liefert uns das nächste Wort, sprich „statt mit den Frauen“, aus denselben Versen, die wir hier untersuchen, nämlich 7:80-81:
In Bruder Amins Übersetzung steht:
Und [Wir entsandten] Lot, da er zu seinem Volk sprach: „Wollt ihr etwas Abstoßendes begehen, worin keiner in aller Welt euch vorangegangen ist. Ihr kommt zu Männern bei einem Begehren, nicht [auch] zu den Frauen. Nein, ihr seid ein das Maß überschreitendes Volk [qaum musrifûn].“ Koran 7:80-81
In der nach Qur’an-Arabisch sinngemässen Übersetzung steht:
Und (Wir entsandten) Lot, da er zu seinem Volke sagte: „Wollt ihr die Schandtat begehen, wie sie keiner in der Welt vor euch je begangen hat?
Ihr gebt euch in (eurer) Sinnenlust wahrhaftig mit Männern statt mit Frauen ab. Nein, ihr seid ein ausschweifendes Volk.“ [Qur’an 7: 80-81]
Bruder Amin fügt in eckigen Klammern das Wort „auch“ zu den Frauen ein und gibt diesen Teil mit dem folgenden Wort wieder als:
2. Nicht [auch] zu Frauen kommen (min dunin Nisa’i = مِنْ دُونِ النِّسَاءِ)
Es ist also klar, dass es sich beim Wort in den eckigen Klammern um einen Einschub handelt, den es in der Originalfassung des Verses nicht gibt. Dieser Einschub widerspiegelt nur das, was Bruder gerne vom Vers verstehen will, nicht das, was der Vers ohne diesen eingeschobenen Zusatz tatsächlich ausdrückt. Diese Tatsache ist Bruder Amin bewusst deshalb setzte er die eckigen Klammern ein. Diese Art der Übersetzung mit Zusätzen bzw. eckigen/runden Klammern ist sehr verbreitet, weil die Übersetzer für den eigentlichen Sinn des Qur’an-Arabisch keine hundertprozentige Entsprechung in der deutschen Sprache vorfinden. Sie versuchen so mit ihren Einschüben das Übersetzungsdefizit auszugleichen und eine ungefähre Bedeutung zum besseren Verständnis des Verses wiederzugeben. In der vorliegenden Übersetzung von Bruder Amin ist der Einschub aber nicht nötig gewesen. Denn es gibt nicht mehr zu deuten als das, was schon im Vers enthalten ist und der ist ganz klar. Jeder arabischsprachige Mensch würde in diesem Einschub auf Deutsch den Qur’ansinn nicht wiedererkennen. Deshalb stellt der unnötige Zusatz „auch“ eine Verfälschung vom eigentlichen Sinn des Verses dar.
Im Qur’an-Arabisch wird das Wort „auch“ mit (wa = وَ ) mit „und“ oder „zusätzlich“ formuliert wie im folgenden Vers:
Und als Abraham von seinem Herrn durch Worte geprüft wurde und er diese vollbrachte, (da) sprach Er: „Ich werde dich zu einem Imam für die Menschen machen.“ Da bat Abraham: „Auch (wa) von meiner Nachkommenschaft.“ Er sprach: „Mein Versprechen erstreckt sich nicht auf die, die Unrecht tun. „[Qur’an 2:124]
Die Kombination [nicht auch] kommt nie im Qur’an vor! Es gibt daher ein grosser Unterschied zwischen den Sätzen:
Ihr kommt zu Männern, nicht zu den Frauen
Und
Ihr kommt zu Männern, nicht auch zu den Frauen
Beim ersten Satz lautet Lots Tadel so:
Weshalb kommt ihr zu den Männern, anstatt dass ihr zu den Frauen kommt? Es ist ein Ersatz, nicht ein Zusatz.
Die von Lot gewünschte Verhaltensänderung seines Volkes würde heissen: zu den Männern? Nein! – Zu den Frauen? Ja.
Beim zweiten Satz lautet der Tadel so:
Wenn Ihr zu Männern kommt, weshalb kommt Ihr nicht auch zu den Frauen? Es ist ein Zusatz, kein Ersatz.
Die von Lot gewünschte Verhaltensänderung seines Volkes würde heissen: zu den Männern? Ja! – Zu den Frauen? Ja.
Das eingeschobene „auch“ mit „nicht“ davor wurden als gleichwertig zum Arabischen (مِنْ دُون = min duuni) geschrieben. Das ist qur’anfremd und deshalb falsch.
Schauen wir anhand eines beliebigen Satzes mit der gleichen Konstruktion aus dem Qur’an, was passieren könnte, wenn wir Bruder Amins Übersetzung von (مِنْ دُون = min duuni) als „nicht auch“ übernehmen würden:
– Ohne Einschub: …Und wer sich Satan statt (مِنْ دُون = min duuni ) Allah zum Beschützer nimmt, der hat sicherlich einen offenkundigen Verlust erlitten [Qur’an 4:119]
– Mit Einschub: …Und wer sich Satan, nicht (لَيْسَ) auch (كَذَلِكَ) Allah zum Beschützer nimmt, der hat sicherlich einen offenkundigen Verlust erlitten [Qur’an 4:119]
Mit dem Einschub würde das bedeuten: Es genügt nicht, nur Satan als Beschützer zu nehmen, sondern auch Allah muss als Beschützer genommen werden, wer nicht beide zusammennimmt, hat gewiss einen offenkundigen Verlust erlitten!!
Ist das wirklich, was Bruder Amin will, dass wir unter (مِنْ دُون =min duuni) verstehen?
Es gibt etliche Verse mit (مِنْ دُون), die immer dasselbe bestätigen, nämlich, dass es statt/anstatt bedeutet wie in: 2:23, 2:94, 2:107, 2:156, 3:28, 3:64, 5:116 usw.
Ein weiterer Beweis, dass mit Qaum bzw. dem Volke Lots ausschliesslich Männer gemeint waren, weil sie Homosexualität praktizierten, ist auch der Tadel über ihren Raub von Menschen und das Verwerfliche, dass sie an ihren Versammlungen zu machen pflegten:
Und da sagte Lot zu seinem Volk: „lhr begeht eine Schändlichkeit, die keiner von allen Menschen je vor euch begangen hat. [Qur’an 29:28]
Vergeht ihr euch tatsächlich an Männern und macht die Wege unsicher? Und bei euren Versammlungen begeht ihr Abscheuliches!“ Jedoch die Antwort seines Volkes waren nur die Worte: „Bringe Allahs Strafe über uns, wenn du die Wahrheit redest.“ [Qur’an 29:29]
Wenn Männer und Frauen gemeint wären, dann müssen wir uns vorstellen, dass auch Frauen sich bei Überfällen beteiligten haben, und dass sie dies vielleicht mit Pferden, Kamelen oder sogar zu Fuss, mit Kampfausrüstung und Waffengewalt taten. Das sind unglaubliche Frauen, die zurzeit Lots lebten. Sie wären ja fortschrittlicher, selbstbewusster, gewalttätiger gewesen – alles selbstverständlich im negativen Sinne, – als alle Frauen vor ihrer Zeit. Sogar wenn es sich so zugetragen hätte – es wäre genau das Gegenteil von dem, was Bruder Amin zu demonstrieren versuchte mit seiner unbelegten Erklärung des Wortes „Abstossenden“, nämlich, dass Frauen zurzeit Lots benachteiligt waren, wenn er sagt:
Es ist ein historisch erstmaliges, sozial einzustufendes Phänomen, das nichts mit sexuellem Verhalten zu tun hat, sondern mit der Rechtlosigkeit und der untergeordneten Rolle der Frauen, die von allen Männern und Frauen als gegeben akzeptiert wird, so dass von beiden Gruppen nur Männer bei wichtigen Angelegenheiten (schahwa) konsultiert werden.“
Wie kann das zusammenpassen? Einerseits nahmen gemäss Autor damals die Frauen eine untergeordnete Rolle ein, welche alle als normal akzeptierten und bei wichtigen Angelegenheiten wurden nur die Männer gefragt um Rat gefragt, nicht die Frauen. Andererseits wären doch Frauen an Überfällen beteiligt gewesen, was zwingend auch eine wichtige Begebenheit ist, denn sonst hätte Allah dieses «Unsicher-machen-der-Wege» nicht erwähnt.
Auch diese beiden Verse zeigen uns klar, dass der Tadel nur die Männer betraf:
Vergeht ihr euch unter allen Geschöpfen an Männern [Qur’an 26:165]
und lasset eure Frauen (beiseite), die euer Herr für euch geschaffen hat? Nein, ihr seid ein Volk, das die Schranken überschreitet.“ [Qur’an 26:166]
Hier braucht niemand ein Experte des Qur’ans oder der arabischen Sprache zu sein, um den Sinn zu verstehen.
Der Vers sagt genau:
eure Frauen
die euer Herr für euch geschaffen hat
Der Autor hingegen sagte:
«Es ist ein historisch erstmaliges, sozial einzustufendes Phänomen, das….mit der Rechtlosigkeit und der untergeordneten Rolle der Frauen …“
Wenn das tatsächlich der Fall gewesen wäre, weshalb formuliert es Allah dann als spezifisches Phänomen mit „eure Frauen“ und weshalb fügt Er hinzu „für euch geschaffen hat“?
Damit Bruder Amins Auslegung eine Grundlage hätte, müsste die Formulierung im Qur’an folgendermassen lauten:
…und lasset die Frauen
…die euer Herr geschaffen hat
Das hat Allah aber nicht gesagt. Im Gegenteil hat Er mit «eure Frauen» und «sie für euch geschaffen» die von Ihm gewollte natürliche Beziehung zwischen den Männern und den Frauen unterstrichen, welche diese Männer mit ihrem abstossenden Verhalten umkehren wollten.
Darüber hinaus lautet die wörtliche Übersetzung von «eure Frauen», was sinngemäss richtig ist, eigentlich «azwadschikum», das bereits eingrenzend bedeutet: «für euch passend zu einer ehelichen Verbindung».
Schauen wir aber die Übersetzung beider Verse an, die der Autor gemacht hat:
Kommt ihr unter allen Geschöpfen zu Männern, und lasst unbeachtet, was euch euer Herr an euren Partnern erschaffen hat? Nein, ihr seid ein übertretendes Volk [qaum ‚âdûn].“
Auch diese Übersetzung wird dem eigentlichen Sinn nicht gerecht.
„Und lasst unbeachtet“ ist nicht gleich wie „und lasset eure Frauen (beiseite)“. Das arabische Wort dazu heisst „wa tadharuna = (وَتَذَرُونَ)“. Um die genaue Bedeutung dieses Wortes zu erfahren, müssen wir, wie immer, im Qur’an nachschauen und nach derselben Zusammensetzung der Wurzel suchen und dann schauen, welche Bedeutung es in diesen Kontexten hat.
Beispiel 1)
Und wenn diejenigen von euch, die abberufen werden, Gattinnen zurücklassen
((sie) ya dharuna =يَذَرُونَ ) , so sollen diese (Witwen) vier Monate und zehn abwarten…[Qur’an 2:234]
Beispiel 2)
O ihr, die ihr glaubt, fürchtet Allah und verzichtet (dharu = وَذَرُوا ) auf das, was noch übrig ist an Zinsen, wenn ihr Gläubige seid. [Qur’an 2:278]
Aus beiden Beispielen ist ersichtlich, dass mit „dharu“, „yadharuna“ wie vorher mit „tadharuna“ aus dem Wortstamm wāw dhāl rā (و ذ ر), das 45x im Qur’an vorkommt, nicht ein „unbeachtet lassen“, sondern ein vollständiges Unterlassen, ein totaler Verzicht damit gemeint ist.
Ein weiterer Übersetzungsfehler im eingangs übersetzten Verses ist die Aussage:
Ihr kommt zu Männern
Da fehlt ein wichtiges Detail, denn auf Arabisch lautet es anders, mit einem winzigen, aber wichtigen Detail, so:
Ihr kommt zu den Männern
Der bestimmte Artikel «den» führt zu einem ganz anderen Verständnis. Es sind demnach bestimmte, bekannte Männer, die sich aneinander sexuell zu vergehen pflegten, und nicht irgendwelche Männer.
Der Grund, weshalb Allah in einigen Versen nur die Männer meint, wenn er das Wort „Volk“ benutzt, liegt auf der Hand. Es ist eine traurige Tatsache, dass es meistens und bis heute die Männer sind, die grosse Schandtaten begehen, Kriege anzetteln, Morde begehen, Ausbeutung ausüben, Unterdrückung begehen, zum Unglauben aufrufen. Ein paar Beispiele kann man in diesen Versen finden:
5:11, 5:21-26, 7:109-112, 8:56, 9:13-14, 9:55-56, 11:85 usw.
Auch heute noch im 21. Jh. sind die Mehrheit der Regierenden Männer und die Gesellschaft kämpft dafür, den Frauen mehr Rechte einzuräumen.
Allah hat uns die Tatsache der Dominanz von Männern immer wieder vor Augen geführt mit vielen Versen. Nicht dass Frauen, unfähig, unfehlbar oder Engel wären; nein, doch aufgrund ihres stärkeren Körperbaus sind es meistens die Männer, die physische Gewalttaten ausüben.
Die höchste Arroganz verkörperte die Person Pharaos, die von Allah so beschrieben wurde:
Er aber leugnete und blieb ungehorsam. Dann kehrte er den Rücken und lief weg, versammelte alsdann (sein Volk) und rief aus, indem er sagte: „lch bin euer höchster Herr.“ [Qur‘an 79:21-24]
Ein ähnliches Beispiel von arroganten Frauen im Qur‘an gibt es nicht. Meines Wissens hat keine Frau in der Geschichte der Menschheit bisher das, was Pharao sagte, behauptet!
Allah hat uns hingegen von einer weisen Frau erzählt, die, obwohl sie als Königin grosse Macht besass, die richtige Entscheidung getroffen hat und sich nicht einfach kopflos in einen aussichtslosen Krieg mit dem Propheten Suleiman stürzte, sondern die Vornehmen ihres Volkes zu einer Konsultation (Schura) einlud:
Sie sagte: „O ihr Vornehmen, ratet mir in dieser Sache. Ich entscheide keine Angelegenheit, solange ihr nicht zugegen seid.“ [Qur‘an 27:32]
Was haben die von ihrer Stärke überzeugten Männer darauf geantwortet?
Sie sagten: „Wir besitzen Kraft und eine starke Kriegsmacht, aber dir obliegt der Befehl; sieh nun zu, was du befehlen willst.“ [Qur‘an 27:33]
Wir erleben in unserem Leben etliche Beispiele, bei denen Männer die dominante Rolle spielen, unabhängig davon, ob es gerechtfertigt ist oder nicht. Dies ist die Natur der Männlichkeit. Männer haben meist die lautere Stimme, sind aufdringlicher, sind bestimmt, gehen eher Risiken ein, sind herausfordernd usw. Frauen hingegen sind sanfter, zurückhaltender, risikoscheuer, wobei es auf beiden Seiten Ausnahmen gibt.
Die Männerdominanz zeigt sich auch bei den Homosexuellen. Ein Paradebeispiel ist der „Castro District“ im Norden San Franciscos in der Region Eureka Valley südlich von Chinatown. Diese Ortschaft bezeichnete sich ursprünglich und bis heute als „San Francisco’s Gay Village“; also nicht „LGBT Village“ oder „Gay and Lesbian Village“, obwohl heutzutage auch lesbische Frauen, Bisexuelle und Transgenderpersonen dort vertreten sind. Es waren in erster Linie Männer, die in der damaligen christlichen Kultur der amerikanischen Gesellschaft nach dem 2. Weltkrieg die Initiative ergriffen und die erste „Gay Community“ gründeten. Lesbische Frauen gab es sicherlich auch, wie in jeder Zeitepoche, aber die hatten dann keine „Lesbian Community“ oder „Lesbian Village“ gegründet.
Alle diese Informationen konnte ich in Google finden. Auslöser dieser Suche war, dass ich Beispiele für die männliche Dominanz bei Homosexualität orten wollte, weil ich auch selbst in Kalifornien gelebt habe in der Zeitperiode zwischen 1983 und 1985. Damals, als ein sudanesischer Freund mir San Francisco zeigen wollte, führte er mich zu einer anscheinend bekannten Gegend der Stadt: zu einer Strasse, die bekannt war als Ort der homosexuellen Gemeinschaft; „Gay Community“. Wir haben das Treiben der Männer aus der Ferne beobachtet. Die Männer haben zwar nicht vor aller Öffentlichkeit Geschlechtsverkehr gehabt, aber nur schon, zu sehen, wie lüstern sie sich miteinander verhielten, war für mich persönlich so abstossend, dass ich meinen Freund gedrängt habe, schnell wegzugehen. Erst in Google habe ich erfahren, dass es sich um den „Castro District“ handelte, der in einem der liberalsten US-Bundesstaaten lag, wo homosexuelle Männer ihre Neigung öffentlich ausleben durften.
Es waren anfänglich in der Tat Männer, die ihre Homosexualität offen zur Schau trugen, ähnlich wie es in der Geschichte Lots passierte. Und zu sehen, wie sie sich versammelten und knutschten, war abstossend, genau wie Allah uns in der Geschichte Lots geschildert hat.
An dieser Stelle möchte ich wie versprochen auf die im 1. Kapitel gestellte Frage zurückkommen, weshalb es im Qur’an einen Unterschied punkto Strafmassnahmen für homosexuelle Männer und Frauen gibt. (siehe 4:15 und 4:16). Allah hat sie unterschiedlich festgelegt aufgrund Seines Wissens über die Natur des jeweiligen Geschlechts. Er sagte dazu:
Und wenn einige eurer Frauen eine Hurerei begehen, dann ruft vier von euch als Zeugen gegen sie auf; bezeugen sie es, dann schließt sie in die Häuser ein, bis der Tod sie ereilt oder Allah ihnen einen Ausweg gibt. [Qur‘an 4:15]
Und wenn zwei von euch (Männern) es begehen, dann fügt ihnen Übel zu. Wenn sie (aber) umkehren und sich bessern, dann lasset ab von ihnen; denn Allah ist Gnädig und Barmherzig. [Qur‘an 4:16]
Es stellt sich die Frage: weshalb verlangt Allah vier Zeugen bei homosexuellen Frauen, bevor die Strafe ausgesprochen werden kann, aber bei homosexuellen Männern nicht?
Nun, um etwas zu bezeugen, muss der Tatbestand offensichtlich ist. Frauen sind generell zurückhaltend, halten ihre Triebe und homosexuelle Beziehung eher geheim. Bei einer Beschuldigung braucht es in einer muslimischen Gesellschaft vier Zeugen.
Männer hingegen können generell ihren Drang zum Geschlechtsverkehr nicht verbergen, sind eher frecher und entlarven sich selbst bei der Suche nach männlichen Mitmachern. Dafür braucht es keine Zeugen, weil diese Leute nicht gross an der Geheimhaltung ihre sexuellen Triebe interessiert sind. Das ist genau der Rausch, den Allah beim sündigen Volk Lots geschildert hat.
Also sind es in der Regel die Männer, die am sichtbarsten sind.
Bruder Amin hat aus einem Problem, dass erst in der Moderne thematisiert wurde, nämlich, dass man Frauen nicht geringschätzen darf, ein Problem zu Lebzeiten von Lot gemacht. Aus den Versen von der Geschichte Lots kann man erfahren, dass diese vom Autor konstruierte Problematik nicht Gegenstand der damaligen, kulturellen Auseinandersetzung war und nicht primär eine dringende Ungerechtigkeit, die es zu lösen galt. Darüber hinaus ist Allah die Quelle unserer Kenntnis über die Verhältnisse jener Zeitepoche. Wenn es ein Problem gewesen wäre, hätte Er das ausdrücklich erwähnt. Wir kennen Seine Beanstandung der diskriminierenden Behandlung von Frauen beim Essen von Tieren im Vers 6:139 und das Verbot des Tötens von weiblichen Neugeborenen, welche bei den früheren Arabern aus Furcht vor Schande lebendig begraben wurden, nachzulesen in den Versen 16:58-59.
Abschliessend kann ich bestätigen, dass das Wort „Qaum“ also „Volk“ nicht immer Männer und Frauen umfasst. Den Beleg dafür liefern uns diese beiden Verse:
Die Boten selbst, als Lot sie ansprach mit:
„Als nun die Gesandten zu der Sippe Lūṭs kamen“ sagte er: „Ihr seid ja fremde Leute.“ [Qur‘an 15:61-62]
Die Übersetzung „Leute“ entspricht „Qaum“ auf Arabisch. Und hier muss ich teilweise ins Thema Engel vorgreifen, welches ich später ausführlich behandeln werde, um zu begründen, dass die Boten tatsächlich Engeln waren. Allah sagt:
Und wenn Wir ihn (den Gesandten auch) zu einem Engel gemacht hätten, so hätten Wir ihn (doch) wahrlich zu einem Mann gemacht. Wir hätten sie sicherlich (nochmal) darin zweifeln lassen, worüber sie zweifelten. [Qur‘an 6:9]
Also umfasst das fremde „Qaum“ im oben erwähnten Vers [Qur‘an 15:62] genau gesagt nur Männer.
Zusätzlich gibt uns folgender Vers den Beweis, dass das Wort „Qaum“ bzw. „Volk“ auch für eine Gruppe von auschliesslich Männern koranisch verwendet, werden kann:
Wollt ihr nicht gegen Leute kämpfen, die ihre Eide gebrochen haben und vorhatten, den Gesandten zu vertreiben, wobei sie zuerst gegen euch (mit Feindseligkeiten) anfingen? Fürchtet ihr sie? Aber Allah hat ein größeres Anrecht darauf, daß ihr Ihn fürchtet, wenn ihr gläubig seid. [Qur‘an 9:13]
Denn Frauen kämpften nicht. Nirgendwo im Quran finden wir, dass Frauen vor oder während der Zeit der islamischen Botschaft je gekämpft haben.
Alles oben Gesagte über „Qaum“ bzw. „Volk“ widerlegt ganz deutlich, was Bruder Amin behauptet hat, der Tadel von Lot an sein Volk sei für beide, Männer und Frauen.
Bruder Amin geht auch davon aus, dass wenn die Aussage „wie sie keiner in der Welt vor euch je begangen hat“ in Vers 7:80 bedeute, dass es keine Homosexualität vor Lots Zeit gegeben hätte, dann müsse etwas Anderes damit gemeint gewesen sein. Wir müssen diesen Vers jedoch im Zusammenhang mit einer anderen Stelle im Qur’an lesen. Dort steht:
Und da sagte Lot zu seinem Volk: „Ihr begeht eine Schändlichkeit, die keiner von allen Menschen je vor euch begangen hat. Vergeht ihr euch tatsächlich an Männern und macht die Wege unsicher? Und bei euren Versammlungen begeht ihr Abscheuliches!“ …29:28-29
Der Vers 7:80 bedeutet daher nicht, dass es keine Homosexualität vor jener Zeitepoche gab, sondern, dass offensichtlich niemand mehr sicher war vor Übergriffen und dass es auch bei Versammlungen, also in der Öffentlichkeit, zu sexuellen Handlungen kam und sogar mit versuchtem Zwang.
Dass es in der Öffentlichkeit geschah, entnehmen wir der Aussage Lots:
Und (Wir sandten) Lūṭ. Als er zu seinem Volk sagte: „Wollt ihr denn sehend(en Auges) das Abscheuliche begehen? [Qur‘an 27:54]
Sehenden Auges heisst, ihr alle seht mit euren eigenen Augen, dass ihr das Abscheuliche tut. Es also nicht die Tat einer einzelnen Person oder eine geheime Handlung.
Mit versuchtem Zwang:
Doch die Antwort seines Volkes war nur, daß sie sagten: „Vertreibt die Sippe Lūṭs aus eurer Stadt! Das sind Menschen, die sich reinhalten.“ [Qur‘an 27:56]
Mit anderen Worten entweder ihr gebt es auf, euch reinzuhalten, indem ihr dasselbe treibt wie wir, oder ihr werdet zur Strafe aus der Stadt ausgeschafft.
Homosexualität hat es wohl immer gegeben; früher vor Lot, während der Zeit des Propheten Muhammads und es wird sie immer geben, ansonsten hätte Allah keine Strafe für deren öffentliches Ausleben vorgesehen.
Wie früher schon einmal erwähnt, ist jedes Wort im Qur’an wichtig. Nicht nur das, sondern sogar die Art und Weise, wie gleich tönende Wörter im Arabischen ausgeschrieben werden, kann uns tiefsinnige Erklärungen liefern. Dafür müssen wir uns jedoch eingehend mit dem Qur’an und dem Qur’an-Arabisch befassen.
3. Das Wort: Al fahischah = الْفَاحِشَةُ wurde als „etwas Abstossendes“ übersetzt von Bruder Amin:
Wollt ihr etwas Abstoßendes begehen, worin keiner in aller Welt euch vorangegangen ist? [Qur‘an, 7:80]
Das Fettgedruckte ist ein Einschub, den es in diesem Vers im arabischen Text nicht gibt.
Das Wort „etwas“ (auf Arabisch شَيْئًا = schay‘an) kommt durchaus an anderen Stellen vor, z.B. bei diesem Vers:
Zu kämpfen ist euch vorgeschrieben, auch wenn es euch widerwärtig ist. Doch es mag sein, daß euch etwas (شَيْئًا) widerwärtig ist, was gut für euch ist, und es mag sein, daß euch etwas (شَيْئًا) lieb ist, was übel für euch ist. Und Allah weiß es, doch ihr wisset es nicht. [Qur‘an 2:216]
Aber in 7:80 kommt es definitiv nicht vor, sondern es steht: Macht ihr das Abstossende…
Durch das Auswechseln des Wortes das mit etwas wird suggeriert, dass Allah nicht klar machte, was dieses Abstossende überhaupt ist und nur so konnte Bruder Amin zur folgenden Schlussfolgerung kommen, wenn er sagt:
Worum geht es im Tadel von Lot seinem Volk gegenüber?
„Das Abstoßende, das Lot bei dem Verhalten der Männer und Frauen rügt, ist ein historisches Faktum, das es bei anderen Menschen vor Lots Volk noch nicht gab. Es ist ein historisch erstmaliges, sozial einzustufendes Phänomen, das nichts mit sexuellem Verhalten zu tun hat, sondern mit der Rechtlosigkeit und der untergeordneten Rolle der Frauen, die von allen Männern und Frauen als gegeben akzeptiert wird, so dass von beiden Gruppen nur Männer bei wichtigen Angelegenheiten (schahwa) konsultiert werden.“
Nochmals betone ich: Das Wort in der Originalversion heisst nicht:
„etwas Abstoßendes“, sondern „das Abstossende“.
Was ist denn dieses Abstossende? Wenn man weiterliest, erhält man die Lösung. Denn die Erklärung liegt unmittelbar im darauffolgenden Vers:
Ihr gebt euch in Sinneslust wahrhaftig mit Männern statt mit Frauen ab. Nein, ihr seid ein ausschweifendes Volk. 7:81
Lot hat zuerst den Vorwurf zur Sprache gebracht, nämlich „das Abstossende“ und dann das Detail beschrieben, sprich „sich in Sinneslust mit Männern, statt mit Frauen abzugeben“. Und das ist exakt das, was abstossend ist.
Kommen wir nochmals zurück zum Wort Al fahischah, das wir am Analysieren sind:
Dieses Wort kommt im Qur’an insgesamt fünf Mal, in 3 verschiedenen Fällen vor:
a. In den Versen 4:15-16, wo es um den Umgang mit öffentlich praktizierenden homosexuellen Frauen und Männern geht.
b. In allen diesen Versen der Geschichte Lots: 7:80, 27:54, 29:28, welche von Lot als
Schandtat verurteilt wurde
c. Im Vers 24:19 als Warnung von Allah an alle, die die Verbreitung von Unzucht
unter den Gläubigen wünschen nach dem Vorfall der „Ifk“, der grossen Lüge zu Lebzeiten des Propheten Muhammads, Friede mit ihm.
Nach meinem Verständnis richtet sich die Warnung genauso an uns alle und eben diesen Artikel, der zur Verbreitung von Unzucht unter den Gläubigen aufruft mit dem Appell:
„…Die Homosexualität als von Allah so gewollte sexuelle Disposition dankbar zu akzeptieren“
Wie ich im Kapitel 1 schon einmal erwähnt habe, ist es bei Unklarheiten oder verschiedenen Meinungen bei der Übersetzung eines Wortes wichtig, themenähnliche Verse zusammenzutragen, um zu eruieren, welche Bedeutung ein Wort wirklich hat. Wenn wir sehen, in welchem Kontext dieses Wort an anderen Stellen verwendet wird, erschliesst sich uns der Sinn.
Fazit: Es ist wichtig zu erfahren, dass das eigentliche Wort für Homosexualität im Besonderen und jede aussereheliche Beziehung im Allgemeinen im Qur’an mit dem Begriff Al fahischah = الْفَاحِشَةُ umschrieben wird. Man kann nicht erwarten, dass Allah für jede Zeitepoche ihre jeweiligen Begriffe zur Bezeichnung von Homosexualität im Qur‘an festlegt, damit die Menschen sie verstehen. Wir müssen uns an Allahs Worten orientieren, nicht umgekehrt. Allah hilft uns zudem mit Verben, welche eine Aktion beschreiben, um uns den Sachverhalt begreiflich zu machen, wie in diesem Zusammenhang mit dem Wortpaar „Ihr kommt zu den Männern mit Sinnenlust, anstatt zu den Frauen“ (=schahwatan). Bruder Amin hat es leider als „mit einem Begehren zu Männern zu kommen, nicht auch zu den Frauen“ umgedeutet und daraus ein völlig neues gesellschaftliches Problem gemacht, das gar nicht Gegenstand der Geschichte Lots war. Das widerspricht der eindeutigen Darstellung Allahs.
Gelangen wir zu weiteren Beanstandungen meinerseits.
4. Das Wort Schahwatan = شَهْوَةً
Bruder Amin bezeichnet das arabische Wort Schahwatan (= شَهْوَةً) als ein Begehren im Sinne von Wunsch nach einer Auftragserfüllung. Dazu sagt er:
„Ob Lots Worte in seinem Tadel (7:81, 27:56) „Kommt ihr zu den Männern anstatt/und nicht zu den Frauen bei einem Begehren (شَهْوَة)“ eine sexuelle Bedeutung haben, kann man sehr leicht durch Anwendung einfacher Logik prüfen: Sein Tadel richtet sich an الْقَوْمِ (al-qaum), alle Männern und Frauen seines Volkes. Wenn seine Worte auf beide Gruppen im sexuellen Sinne anwendbar sind, können sie eine sexuelle Bedeutung haben, wenn nicht, müssen wir diese Bedeutung vermeiden.
Angewendet auf die Frauen: Glaubt wirklich jemand, dass das beabsichtigte Ergebnis seines Tadels “kommt ihr zu den Männern anstatt zu/neben den Frauen” ist, dass Lot wollte, dass die Frauen sich lesbisch verhalten? Warum sollte er das tun? In den beiden vorgenannten Versen wird das Wort ( شَهْوَة – schahwa) verwendet, das in den meisten Qurân-Übersetzungen als sexuelles Begehren (z.B. „Sinnenlust“) verstanden und übersetzt wird.
Das Wort schahwa kommt indes einschließlich der Verbformen an weiteren 11 Stellen im Qur’an vor:
schahawât (pl.): 3:14, 4:27 und 19:59
als Verbum (VIII. Stamm): 16:57, 21:102, 34:54, 41:31, 43:71, 52:22, 56:21, 77:42
An allen diesen Stellen hat es ganz klar keinen sexuellen Bezug. Dieser entstand und verstärkte sich erst durch die traditionelle Qur’ân-Interpretation der Verse von Lot und seinem Volk.
Es gibt keine historisch verlässlichen Zeugnisse über Lot und sein Volk und das, was in ihrer Stadt geschah. Es gibt nur eine Erwähnung im Alten Testament der Bibel, wo ein einziges Wort in einem der Bücher Mose zu einer verbreiteten Fehlinterpretation führte (die Quelle für bestimmte mawâlî-(موالي) –Überlieferungen). „
Als starkes Argument führt er das Vorkommnis ähnlicher Worte in anderen Versen an, die keinen sexuellen Bezug haben. Deshalb kann schahwatan gemäss seinem Verständnis nicht anderes bedeuten.
Eine für mich bizarre Schlussfolgerung.
Das ist, als würden wir sagen: Es gibt jeweils nur die Lust zu essen, zu reisen, zu joggen, zu lesen, sich über ein interessantes Thema zu unterhalten usw. Aber die Lust, Geschlechtsverkehr zu treiben, existiere nicht!?
Ok, machen wir einen Test und spielen ein Szenario mit dieser Übersetzung durch: Nehmen wir an, „schahwatan“, würde tatsächlich das bedeuten, was Bruder Amin meinte; sprich „bei einem Begehren zu Männern kommen, und nicht auch zu den Frauen“. Danach setzen wir diese Annahme ein, wo sie im Kontext der Verse auch gemeint war. Wir nehmen als Beispiel die Sure 26, Ash-Shu’araa (Die Dichter). Dann schauen wir, was herauskommt:
26: 165: Unter allen Geschöpfen kommt Ihr mit einem Begehren zu Männern (nicht auch zu den Frauen)
26: 166: Ihr (gemäss Interpretation vom Autor zu Worte Volk, sind es Männer und Frauen) kommt mit einem Begehren aber nicht zu euren Frauen, die euer Herr für euch erschaffen hat (gemäss derselben Interpretation vom Autor, haben auch Frauen eigene Frauen, also sind sie Lesben??). Nein, Ihr seid ein Volk (Männer und Frauen!), das Schranken überschreitet
26: 167: Sie sagten: „Wenn du nicht davon nicht ablässt, o Lot, uns davon abzuraten bei einem Begehren ausschliesslich zu Männern zu kommen, so wirst du gewiss einer der Verbannten sein.“
26: 168: Er sagte: „Ich verabscheue eurer Treiben, bei einem Begehren nur zu Männern zu kommen“
26:169: Mein Herr, rette mich und die Meinen vor dem, was sie tun, bei einem Begehren nur zu Männern zu kommen.
26: 170: Und Wir erretten ihn und die Seinen allesamt, von dem Treiben, bei einem Begehren zu Männern zu kommen, nicht auch zu den Frauen.
26: 171: Bis auf eine alte Frau, die unter den Verschwundenen zurückblieb
26:172: Und dann haben Wir die anderen vernichtet, die bei einem Begehren nur zu Männern kommen, nicht auch zu den Frauen.
Wie tönt jetzt die Geschichte Lots, wenn wir sie auf die Art verstehen, die Bruder Amin uns glauben machen will? Für mich persönlich sehr absurd, denn es kann nicht sein, dass Allah uns eine derartige unsinnige Erzählung präsentiert, erhaben sei Er!
Es ist fatal, wie der Autor mit dem Qur’an vorgeht, indem er dessen Worte wiederholt entfremdet.
Es ist zudem wichtig zu merken, dass:
- Schahwatan nur 2x im Qur’an vorkommt
- Das Wort nur in der Geschichte Lots vorkommt
- Schahwatan ein Adverb zur weiteren Deutung des Verbes im Satz „Ihr kommt zu den
Männern“ ist, das in dieser Konstellation lüstern bedeutet
- Schahwatan eine Bekräftigung der abnormalen Lust ist, mit Männern Geschlechtsverkehr treiben zu wollen
- Schahwatan kein Synonym hat, aber eine zentrale Gemeinsamkeit teilt zusammen mit allen erwähnten Worten derselben Wortfamilie shīn hā wāw (ش ه و), die 13x im Qur‘an vorkommen. Die Verse sind: 3:14, 4:27, 16:57, 19:59, 21:102, 34:54, 41:31, 43:71, 52:22, 56:21, 77:42 und selbstverständlich die beiden Verse unserer laufenden Diskussion 7:81 und 27:55.
Der gemeinsame Nenner aller oben genannten Verse heisst: Lust oder Wunsch mit einem Genuss und Vergnügen für begangenen oder unmittelbaren Geschlechtsakt.
Es gibt übrigens im Qur’an durchaus ein Wort für „Begehren“, und das heisst talaban (طَلَبًا).
Dieses Wort wurde aber in der Geschichte Lots nicht benutzt. Kein Araber würde unter „schahwatan“ einen Wunsch verstehen, den eine andere Person ihm erfüllen sollte.
Ausserdem – wenn die Übersetzung von schahwatan „mit einem Begehren kommen“ lauten würde, dann drängen sich folgende Fragen auf:
Womit käme das Volk Lots zum Beispiel zu den Männern allein, aber nicht zu den Frauen? Weder im Qur‘an können wir darüber etwas lesen, noch kann uns der Autor erklären, was das genau das für ein Begehren ist. Oder wäre z.B. damit gemeint, dass Männer und Frauen, zu Männern allein kämen mit dem Begehren, einen Garten zu errichten, und die Frauen würden für diese Auftragserfüllung nie gefragt? Oder das Volk Lots habe nur Männer gefragt, Brot zu backen und Essen zu kochen, aber Frauen nicht? Oder etwa, dass nur Männer angehalten wurden, Gerechtigkeit walten zu lassen, Frauen hingegen, die ja eine untergeordnete Rolle innehatten, dabei ignoriert worden wären?
Was könnte daran abstossend und schlimm sein, mit einem Begehren nur zu den Männern zu kommen, nicht auch zu den Frauen?
Kann so ein Begehren, bei dem exklusive Männer zu Rat gefragt, Frauen aber aussen vor gelassen werden, zu einer solch drastischen Strafe führen wie beim Volk Lots?
Heisst das, dass bei anderen Völkern, deren Geschichten Allah erzählt, eine ähnliche Vernachlässigung von Frauen nie passiert ist, sondern die damaligen Gesellschaften gegenüber Frauen immer gerecht waren im Gegensatz zum Volke Lots? Natürlich gebietet der Qur’an Gerechtigkeit und dass Frauen an der Gesellschaft mitwirken, doch wo steht explizit, dass es eine Sünde wäre, mit einem Begehren nur zu den Männern zu kommen?
Wie wir sehen, macht auch vertieftes Nachdenken die Absurdität der Übersetzung deutlich.
5. Die Übersetzung: Sich nicht am Kult fremder Götter beteiligen (yatathahharuun = يَتَطَهَّرُونَ ) – Vers 27:56
Bruder Amin schrieb:
„…Sie fordern daher andere auf, dies zu übernehmen. Seine Anhänger werden von ihnen als Leute beschrieben, die sich reinhalten wollen. Das ist sicher spöttisch gemeint, wenn auch offensichtlich unter Verwendung eines Ausdruckes, den Lot und seine Anhänger selbst verwenden; denn die Menschen in der Stadt verstehen ihr Tun sicher nicht als unrein. Worauf sich der Ausdruck ’sich rein halten‘ neben der allgemeinen Bedeutung ’sich einer untersagten Sache enthalten‘ beziehen kann, wird ersichtlich, wenn man dessen Gebrauch in der frühen Zeit des Alten Testaments berücksichtigt. Unter dem Stichwort ‚rein und unrein‘ heißt es u. a. in Reclams Bibellexikon:
In frühen alttest. Texten bezieht sich ‘r.’ [= rein] und ‘u.’ [= unrein] auf Hygiene- und Speisevorschriften (Richt 13, 4; 2 Sam 11,4). Bei den Profeten sind ‘r.’ und ‘u.’ umfassende religiöse-sittliche Kategorien. Unrein macht vor allem der Kult fremder Götter (Hos 5, 3; 6, 10; oft bei Ezechiel, z.B. Ez 20, 7).“
Reclams Bibellexikon, Seite 424 f.“
Die Interpretation, wonach das sündige Volk mit dem spöttischen Wort „reinhalten“ heisse „Man könnte daher auch davon ausgehen, dass damit der Kult fremder Götter gemeint ist, von dem sie sich fernhalten, wie die Fruchtbarkeitsreligionen jener Zeit in Kanaan“ ist reine Spekulation. Allah hat nichts desgleichen erwähnt.
Wenn mit „unrein“ der Kult fremder Götter gemeint gewesen wäre, hätte es Allah ausdrücklich erwähnt, wie bei allen anderen Versen, wo es um die höchste Sünde geht, Ash-Schirk, der Beigesellung.
Es ist wichtig, dass wir die Verse immer im Zusammenhang lesen, das heisst, miteinzubeziehen, was im Qur’an in der näheren Umgebung steht. Und tatsächlich steht im Vers davor:
Wollt ihr euch wirklich in (eurer) Sinnenlust mit Männern statt mit Frauen abgeben? Nein, ihr seid ein unwissendes Volk.“ [Qur‘an 27:55]
Im Vers gleich danach steht das mit dem „sich reinhalten“:
Doch die Antwort seines Volkes war nichts anderes als: „Treibt Lots Familie aus eurer Stadt hinaus: denn sie sind Leute, die rein sein möchten.“ [Qur‘an 27:56]
Es ist also eine Antwort auf das, was Lot zuvor tadelte, nämlich, sich sexuell mit Männern, statt mit Frauen abzugeben. Es stand nicht: „Weshalb pflegt ihr andere Götter anzubeten?“ oder „zu dienen?“ oder ähnliches wie es mehrmals in Sure 11, Hud, von vielen Gesandten ausgesprochen wurde, z.B.: „Und zu den `Ad (entsandten Wir) ihren Bruder Hud. Er sagte: „O mein Volk, dient Allah. Ihr habt keinen anderen Gott außer Ihm. Ihr seid nichts anderes als Lügner. [Qur‘an 11:50]
Auffallend ist, dass im Gegensatz zu Salih, Hud und Shuaib, die die obige Aussage machten, diese bei Lot gänzlich fehlt, obwohl wir wissen, dass sein Volk nicht aus gläubigen Menschen bestand. Hier liegt der Fokus auf der ungeheuerlichen Praxis der gewalttätig ausgelebten Homosexualität, die von vielen Menschen als unnatürlich empfunden wird, beim Volke Lots aber an der Tagesordnung war. Deshalb sagte Allah:
„Und sein Volk kam eilends zu ihm gelaufen; und schon zuvor hatten sie Schlechtigkeiten verübt…“ [Qur‘an 11:78]
Anschliessend schlug Lot seinem Volk seine Töchter als Ehefrauen vor, um ihre Sexualität innerhalb des erlaubten Bereiches auszuleben, statt dass sie in ihrer Schändlichkeit bleiben. Dies als eine Geste seiner wohlwollenden Hoffnung, die homosexuellen Männer zur Räson zu bringen.
Es ist die letzte Chance für die Sündigen, Reue zu zeigen und mit ihrem Übel aufzuhören und der Strafe Allahs zu entrinnen. Über den Glauben an Allah und Seine Einzigartigkeit hat Lot genügend gesprochen, aber sein Volk hat dies ignoriert, weil sie ja von ihren Gelüsten berauscht waren.
Damit ist es ersichtlich, weshalb das sündige Volk Lot und seine Anhänger aus der Stadt vertreiben wollte. Nicht wegen irgendwelcher falschen Kulte, die nirgend im Vers zu orten sind, sondern weil er ihnen Vorwürfe machte wegen ihrem abscheulichen Treiben und nicht mitmachen wollte. Somit bleibt kein Raum mehr für andere Interpretationen.
Man muss die Verse Allahs genau lesen, um zu verstehen, welche Weisheiten und Bedeutungen darin liegen.
6. Die Übersetzung: Die Gesandten als fremde Leute (Al-Mursalun = الْمُرْسَلُونَ) Verse 15:61-62
Bruder Amin schrieb:
„Auch hier wird wieder deutlich, dass die Absicht der Leute in dem hier geschilderten Fall sich in erster Linie gegen Lot richtet, von denen dieser daher für sich Schmach und Schande befürchtet, und die Anwesenheit der Fremden in seinem Haus lediglich ein wohlfeiler Anlass dazu ist. Die Leute erinnern Lot daran, dass eine der Auflagen, unter denen ihm und seinen Anhängern der Aufenthalt in der Stadt zugestanden worden ist, darin bestehe, dass er zu anderen Menschen von außerhalb der Stadt keine Kontakte haben darf. Dadurch, dass Lot die Gesandten aufgenommen und ihnen das ihnen zustehende Gastrecht gewährt hat, hat er dagegen verstoßen und befürchtet Böses („Das ist ein schlimmer Tag“, 11:78, ein Tag, der schlimme Folgen haben wird). Aber auch angesichts seiner bedrängten Lage bleibt er rechtschaffen und verstößt nicht gegen ein in der damaligen Zeit für Reisende lebenswichtiges Grundrecht, das Gastrecht. Er kann und will sich nicht dem ungesetzlichen Verhalten der anderen anschließen, sondern hat den Gesandten mutig Schutz und Obdach gewährt, um sie vor den Leuten, denen das Gastrecht nichts bedeutet, die es mit Füßen treten und Reisende wohl auch ausrauben (29:29), zu schützen.“
Weiter fügt er hinzu:
„Der Qur’ân sagt nicht ausdrücklich, dass die Gesandten Engel sind. Doch schließen die klassischen Kommentatoren es aus dem Wort ‚Gesandte‘, das auch für Engel verwendet wird (s. Muhammad Asad, Seite 325). Und nur unter dieser Voraussetzung sind die Verse (51:32-34) verständlich. Über das Aussehen oder das Alter der Gesandten gibt es im Qur’ân keinen Hinweis. Jede dahingehende Äußerung lässt sich nicht aus ihm ableiten und ist reine Spekulation.“
Ich muss gestehen, dass mich die ausführlichen Erklärungen überrascht haben…
Aus den oben zitierten Aussagen Bruder Amins möchte ich auf folgende zwei Behauptungen eingehen:
- Beim Problem mit den Gesandten gehe es um das Gastrecht, das Lot vom sündigen Volk verwehrt wurde und dass Lot dieses Verbot angeblich gebrochen habe
- Dass die Gesandten keine Engel seien
Zur 1. Behauptung: Das vermeintliche Gastrecht
Wo hat der Autor im Vers 15:68 gelesen, dass es sich um eine Verletzung des Gastrechts gehandelt hatte?
Das steht nirgendwo. Eine Auseinandersetzung wegen Lots Gästen hat es gegeben, aber das hat gar nichts mit irgendeinem Gastrecht zu tun. Sondern mit Gästen, die Lot bei sich aufnimmt, denn das hat andere Konsequenzen, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Und das kann nur im Kontext mit anderen Versen verstanden werden. All diese Details werden wir nun ansehen.
Aus dem Vers:
Sie sagten: „Haben wir dir nicht die Weltenbewohner verboten (als Gäste aufzunehmen)?“ [Qur‘an 15:70]
zu folgern, dass ein geltendes, bereits vereinbartes Gastrecht zwischen Lot und seinem sündigen Volk besteht, wie wir es in der heutigen Zeit gewöhnt sind, wäre verfehlt.
Die meisten Übersetzungen setzen „nanhaka“ im arabischen Versmit „dir verboten“ gleich. Das ist meiner Meinung nach falsch. Im Qur‘an darf man nicht einfach ein Wort durch ein anderes Wort ersetzen, auch wenn sie ähnlich in der Bedeutung sind, wie ich schon einmal erwähnt habe. Allah spricht uns nicht so an, wie wir miteinander sprechen, sondern jedes Wort hat seine genaue Stellung im Vers und Bedeutung im vorgegebenen Kontext. Wenn wir das nicht beachten, können unpräzise oder falsche Bedeutungen entstehen. Im Vers 11:1 spricht Allah diese Tatsache an.
Das Infinitivverb „naha“ kommt 56x mal im Qur‘an vor und heisst, je nachdem wer es ausspricht, „nicht empfehlen, abraten, vorwarnen“ oder „jemandem freundlich sagen, mit etwas aufzuhören“. Es ist schwächer als das Wort „verbieten“. Im „naha“ fehlt der autoritäre Aspekt, ausser es wird von Allah oder den Gesandten ausgesprochen. „Naha“ ist immer mit einer gewissen Milde verbunden. Deshalb heisst „naha“ nicht „du darfst nicht“ oder „es ist dir verboten“. Letzteres heisst „harrama“ oder „hurrima“ und kommt 86x im Quran vor. Es ist absoluter und enthält keine Milde. Das sind 2 unterschiedliche Aussagen für unerwünschtes Verhalten mit unmittelbaren oder späteren Konsequenzen.
Mit dieser Unterscheidung können wir verstehen, dass die Aussage des sündigen Volkes heisst: haben wir dich nicht davon gewarnt, fremde Leute bei dir aufzunehmen? Hier fehlt die ausdrückliche Androhung einer Konsequenz. Aber Allah hat uns 3 Verse vorher erzählt “Und die Leute der Stadt kamen (als die Gesandten eingetroffen waren) voller Freude (darüber, sie als Opfer ihrer Lasterhaftigkeit missbrauchen zu können) zu Lot“ [Qur‘an 15:67] und mit dem Begriff „voller Freude“ ihre Absichten entlarvt. Jetzt sind sie alle zu Lot gekommen; dies ist die 1. Konsequenz. Und sie erinnerten ihn an die Vorwarnung. Die 2. Konsequenz wäre normalerweise die Androhung, die Gäste auszuweisen oder Lot zu bestrafen, wenn es darum ginge, die Verletzung eines verbotenen Gastrechts zu ahnden. Aber das haben sie weder gesagt noch getan. Voller Freude zu kommen, mit der Absicht, jemanden aus der Stadt auszuweisen, tönt nicht konsistent. Das bedeutet also, dass sie andere Absichten gehabt haben müssen, als die Ausweisung. Und tatsächlich finden wir die 2. Konsequenz in den Worten: „Und du weisst wohl, was wir wollen“ im Vers 79 der Sure 11. Sie wollen etwas mit seinen Gästen machen, was Lot genau bekannt war. Nämlich das, was er bei seinem sündigen Volk immer wieder beanstandete: die Abscheulichkeit, mit Männern geschlechtlich zu verkehren. Auf diese Gegebenheit und andere Details in dem Zusammenhang werde ich später noch unter einem anderen Blickwinkel zurückkommen, wenn ich den Rest der Unstimmigkeiten in Bruder Amins Übersetzungen behandle.
Dis Aussage:
Er sprach: „Das sind meine Gäste, so tut mir keine Schande an. [Qur‘an 15:68]
Wie kann man aus dieser Aussage ableiten, dass es ein Verbot gab, Gäste aufzunehmen? Jemand der sagt: „Das sind meine Gäste“ ist nicht jemand, der sich um ein Argument ringt, um sich gegen ein ihm bekanntes und von ihm verletztes Verbot zu wehren.
Wenn es um das Gastrecht gegangen wäre, weshalb hat Lot gesagt: so tut mir keine Schande an? Wieso eine Schande und weshalb an ihm persönlich? Ein Gastrecht ist ein allgemeines Gastrecht, das allen Menschen zugutekäme, nicht nur Lot. Von einem weisen Gesandten würde man erwarten, dass er, wenn es tatsächlich um Gastrecht gegangen wäre, nicht gesagt hätte: „so tut mir keine Schande an“, sondern eher: „mit welchem Recht wollt ihr das meinen Gästen antun?“, „Ihr verletzt das uns bekannte Gastrecht“ oder was ähnliches. Eine Verletzung des Gastrechts wäre auch keine Schande für Lot selbst, denn das wäre ein Unrecht, wofür er nichts kann. Aber Lot hat gesagt: so tut mir keine Schande an. Also das Problem betrifft ihn persönlich wegen der Schande seines Volkes. Er hat sich für sein Volk geschämt für das, was sie an Abstossendem zu machen pflegten und was sie voraussichtlich auch mit seinen Gästen tun würden. Damit gab Lot seinem sündigen Volk jedes Mal die Chance, reuig zu werden und mit ihrem Frevel aufzuhören.
„Tut mir keine Schande an“, auf Arabisch „fala tafdahuni“ sagt man, wenn man sich für etwas schämt, um nicht vor anderen blossgestellt zu werden. Hier wäre es die Blossstellung Lots vor seinen neuen Gästen, den Gesandten.
Auch muss man die Frage stellen, was meinte Lot mit „tut mir“? Was würde sein Volk tun? Wenn es wirklich um das Gastrechtverbot ginge, das Lots Volk ihm angeblich auferlegt hat, dann wäre die logische Konsequenz, dass sein Volk die Absicht hätte, die neuen Fremden aus der Stadt auszuweisen. Das ist unmöglich. Denn es kommt in allen Versen mit Lot nie vor, dass das frevelnde Volk vorhatte, die Gäste aus der Stadt auszutreiben. Wohl aber Lot und seine Anhänger, weil sie sich reinhalten wollten! Auf das Sich-reinhalten komme ich gegen Ende zurück, wenn ich über die Töchter Lots reden werde.
Auch der Vers davor widerspricht Bruder Amins Meinung über die Absicht des Volkes, als sie erfuhren, dass Lot Gäste bei sich hatte:
Und das Volk der Stadt kam voller Freude (yastabschiruuna). [Qur‘an 15:67]
Würde jemand zu einer Person, die ein Recht gebrochen hat, tatsächlich mit Freude kommen oder nicht eher mit Wut, Missmut, Empörung, Enttäuschung, Bestürzung, usw. zu ihr kommen? Sicherlich nicht mit Freude. Das sündige Volk Lots freute sich darüber, dass die Gäste fremde Leute waren, Männer – also Kandidaten, um ihre homosexuellen Bedürfnisse befriedigen zu können.
Bruder Amin hat sich erlaubt, den anderen Vers, der ebenfalls über die Geschichte Lots erzählt (11:78) nach seinem Verständnis zu übersetzen, damit er seine Geschichte des verletzten Gastrechts glaubhaft machen kann:
Und sein Volk kam zornbebend (yuhra’uuna) zu ihm gelaufen; und schon zuvor hatten sie Böses verübt. Er sprach: „O mein Volk dies hier sind meine Töchter; sie sind reiner für euch…
Dieser Vers beschreibt den gleichen Sachverhalt wie im Vers 15:67, wo es heisst:
Und das Volk der Stadt kam voller Freude (yastabschiruuna)
Übersetzt wurde der Vers 11:78 vom Bruder Amin aber als „Und sein Volk kam zornbebend“.
Wie kommt er darauf, dass das Volk zornbebend kam?
Das arabische Wort im übersetzten Vers heisst nicht zornbebend, sondern: „yuhra’uuna“ (يُهْرَعُونَ).
Zornbebend kommen oder zurückkehren im Qur‘an heisst: غَضْبَانَ (ghadbana). Dieser Ausdruck wurde verwendet, als Moses, Friede mit ihm, nach den 40 Tagen auf dem Berg in der Gegenwart Allahs, erfuhr, dass sein Volk von As-Samiry in die Irre geführt wurde:
Da kehrte Moses zornig und voller Bedauern zu seinem Volk zurück…[Qur‘an 20:86]
Im Zorn weggehen im Qur‘an heisst: مُغَاضِبًا (mughadiban) wie in der Geschichte von Du-Nun steht:
Und Du-n-Nun ging im Zorn hinweg und war überzeugt, daß Wir ihn nie in Betrübnis bringen würden; und da rief er in der dichten Finsternis: „Es ist kein Gott außer Dir. Gepriesen seist Du. Ich bin wahrlich einer der Frevler gewesen.“ [Qur‘an 21:87]
Diese beiden Worte zur Beschreibung vom Zorn kommen in der Geschichte Lots im arabischen Original absolut nicht vor.
Um die eigentliche Bedeutung von „yuhra’uuna“ (يُهْرَعُونَ) zu verstehen, bedienen wir uns wieder der Verszusammentragung im Qur‘an selbst. Dieses Wort kommt nur zwei Mal vor: im jetzt behandelten Vers 11:78, und in 37:70.
Was steht im letzteren? Mit den Versen vorher und nachher, um den Kontext zu verstehen, dieses:
Sie fanden ihre Väter als Irrende vor
und so traten sie eilends (yuhra’uuna) in ihre Fußstapfen.
Und die meisten der Vorfahren waren vor ihnen irregegangen. [Qur‘an 37:69-71]
Würden wir Bruder Amins Interpretation „zornbebend“ für „yuhra’uuna“ akzeptieren, ergäbe sich folgender Unsinn:
Sie fanden ihre Väter als Irrende vor
und so traten sie zornbebend in ihre Fußstapfen.
Und die meisten der Vorfahren waren vor ihnen irregegangen. [Qur‘an 37:69-71]
Das ist ein klarer Beweis, dass Bruder Amin mit seiner Übersetzung falsch liegt.
„yuhra’uuna“ ist im Passiv und heisst auf Deutsch: Von Hast ergriffen.
Überhaupt ist das Gastrecht nie Gegenstand einer zu lösenden Problematik gewesen. Das Gastrecht ist ein ehrenhaftes Recht, das Menschen in ihrer jeweiligen Tradition pflegen sollten, es ist ein freiwilliges Recht. Die Nicht-Beachtung darf nicht mit einer Sünde gleichgestellt werden, für deren Verletzung Allah die Menschen bestrafen würde. Sonst würde man behaupten, dass Allah etwas geboten habe, was Er gar nicht tat. Gebote oder Verbote im Namen Allahs auszusprechen dürfen wir Menschen nicht, nur Allah.
Die Behauptung, dass es sich um ein verletztes Gastrecht handeln würde, wirft aber auch noch andere grundsätzliche Fragen auf:
Im Vers 11:78 bot Lot seinem sündigen Volke seine Töchter an: Wenn er sie vorschlug, wie Bruder Amin gemeint hat, als Garanten für das Wohlverhalten seiner Gäste, weshalb sagte er: „…dies hier sind meine Töchter; sie sind reiner für euch“. Was hat denn die Reinheit von Lots Töchtern mit der Garantie des Wohlverhaltens seiner Gäste zu tun?
Weshalb sagte Allah danach im Vers 15:72:
Wahrhaftig! Sie waren in ihrem Rausch verblendet, so daß sie umherirrten. [Qur‘an 15:72]?
Leute, die darauf bestehen, dass ein Verbot des Gastrechts eingehalten soll, befinden sich weder im Rausch, noch irren sie umher.
Wenn das Gastrecht tatsächlich ein zentrales Problem in der Geschichte Lots gewesen wäre, für das er einstand, als er sein Volk ihn tadelte, weshalb sagte er nur:
Vergeht ihr euch tatsächlich an Männern und macht die Wege unsicher? Und bei euren Versammlungen begeht ihr Abscheuliches!“ Jedoch die Antwort seines Volkes waren nur die Worte: „Bringe Allahs Strafe über uns, wenn du die Wahrheit redest.“ [Qur‘an 29:29]
Wo wird denn hier das angebliche Vergehen gegen das Gastrechtverbot thematisiert?
Die Probleme, die Allah in der Geschichte Lots schilderte sind klar. Sie enthalten keinen Zusammenhang mit irgendeinem unerlaubten Gastrecht, das Lot bekämpfte.
Die Geschichte vom Gastrecht ist genauso erfunden und konstruiert wie die Geschichte mit einem Begehren zu Männern zu kommen, nicht auch zu den Frauen, welche nirgendwo Gegenstand eines Vergehens im Qur‘an gewesen ist.
Ich kann nur zitieren:
Gepriesen sei Er und in großer Weise Erhaben über all das, was sie behaupten. [Qur‘an 17:43]
Gelangen wir zur 2. Behauptung: Die Gesandten seien keine Engel
In den Versen, in denen die Gesandten erwähnt werden, werden die Engel nicht namentlich als solche bezeichnet. Das ist eine Tatsache.
Aber der ganze Verlauf der Geschichte Lots mit ihnen deutet ganz klar darauf, dass sie Engel waren.
Die Geschichte beginnt eigentlich schon früher, als die Boten zu Abraham, Friede mit ihm, kamen:
Und es kamen Unsere Gesandten mit froher Botschaft zu Abraham. Sie sprachen: „Friede!“ Er sagte: „Friede!“ und es dauerte nicht lange, bis er ein gebratenes Kalb herbeibrachte.
Als er aber sah, daß ihre Hände sich nicht danach ausstreckten, fand er sie befremdend und empfand Furcht vor ihnen. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht; denn wir sind zum Volke Lots entsandt.“ [Qur‘an 11:69-70]
Als Abraham den Gesandten das gebratene Kalb servierte und sie ihre Hände nicht danach ausstreckten, um zu essen, jagte ihm die Angst ein. Und dann sagten sie, um ihn zu beruhigen: „Fürchte dich nicht…“
Menschliche Gesandten hätten doch mit ihren Händen gegessen.
Die Geschichte geht noch weiter.
Er sprach: „Was ist euer Auftrag, ihr Boten?“ [Qur‘an 15:57]
Sie sprachen: „Wir sind zu einem schuldigen Volk entsandt worden [Qur‘an 15:58]
ausgenommen die Anhänger Lots, die wir alle erretten sollen [Qur‘an 15:59]
bis auf seine Frau. Wir bestimmten, daß sie unter denen sein wird, die zurückbleiben.“[Qur‘an 15:60]
An dieser Stelle hört die Konversation zwischen Abraham und den Boten auf.
Jetzt drängen sich einige Fragen auf:
Wie können sterbliche Gesandte, ein ganzes, schuldiges Volk bestrafen (ausgenommen die Anhänger Lots, die sie erretten sollen bis auf seine Frau), wenn sie nicht Engel wären?
Wie können Gesandte darüber bestimmen, dass Lots Frau unter den Bestraften ist? Das können sie nur, wenn sie Engel sind.
Wie konnten die Gesandten über das sündige Volk Bescheid wissen, bevor sie zu Lot kamen? Denn sie haben ja bereits Abraham davon erzählt:
Und als Unsere Boten Abraham die frohe Botschaft brachten, sprachen sie: „Wir kommen, um die Bewohner dieser Stadt zu vernichten; denn ihre Bewohner sind Missetäter. [Qur‘an 29:31]
Er sagte: „Doch Lot ist dort.“ Sie sprachen: „Wir wissen recht wohl, wer dort ist. Gewiß, wir werden ihn und die Seinen erretten, bis auf seine Frau, die zu denen gehört, die zurückbleiben sollen.“ [Qur‘an 29:32]?
Sie kamen schliesslich, damit sie selbst die Missetäter vernichten. Welcher Mensch hatte zu dieser Zeit eine solche Macht? Und sie wussten genau, wer in der Stadt war, obwohl sie dort offensichtlich nie gewesen waren, denn Lot kannte sie nicht, und das Volk bezeichnete sie als Fremde. Wie können normale Gesandte diese vielen Details wissen und die grosse Strafe selbst über das Volk bringen? In keinem Vers im Qur‘an erfahren wir, dass Gesandte als Menschen Derartiges vollbringen können.
Danach fängt der Abschnitt über die Geschichte Lots mit seinem Volk an:
Und als Unsere Boten zu Lot kamen, war er ihretwegen besorgt und fühlte sich außerstande, ihnen zu helfen. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht und sei nicht traurig, wir wollen dich und die Deinen sicher retten, bis auf deine Frau, die zu denen gehört, die zurückbleiben sollen. [Qur‘an 29:33]
Noch mehr:
Als die Boten zu den Anhängern Lots kamen da sprach er: „Wahrlich, ihr seid (uns) unbekannte Leute.“
Sie sprachen: „Nein, aber wir sind mit dem zu dir gekommen, woran sie zweifelten.
Und wir sind mit der Gerechtigkeit zu dir gekommen, und gewiß, wir sind wahrhaftig.
So mache dich mit den Deinen in einer nächtlichen Stunde fort und ziehe hinter ihnen her. Und keiner von euch soll sich umwenden, sondern geht, wohin euch befohlen werden wird.“
Und Wir verkündeten ihm in dieser Angelegenheit, daß die Wurzel jener (Leute) am Morgen ausgerottet werden sollte. [Qur‘an 15:61-66]
Alle diese Verse zeugen von der Strafe, die das schuldige Volk Lots erleiden wird und sie wird von den Gesandten durchgeführt werden.
Das können nur Engel gewesen sein, die Allah in Menschengestalt erscheinen liess, um sie zu Lots Volk zu schicken als Prüfung und Gelegenheit für die Reuigen, damit sie mit Lot und seinen Anhängern fliehen können, bevor die unvermeidliche Strafe die Zurückbleibenden erfasst.
Dass Engeln auch Gesandte werden können, sagt Allah:
Allah erwählt Sich aus den Engeln Gesandte, und (auch) aus den Menschen. Gewiß, Allah ist Allhörend und Allsehend. [Qur‘an 22:75]
Über die Möglichkeit der Umwandlung eines Engels zu einem Gesandten in Gestalt von Menschen hat uns Allah berichtet, als Er sagte:
Und wenn Wir ihn (den Gesandten auch) zu einem Engel gemacht hätten, so hätten Wir ihn
(doch) wahrlich zu einem Mann gemacht. Wir hätten sie sicherlich (nochmal) darin zweifeln lassen, worüber sie zweifelten. [Qur‘an 6:9]
Es ist eine Tatsache, dass es zwangsläufig eine Strafe bedeutet, wenn Engel zu Menschen geschickt werden; dazu sagt Allah:
Und sie sagen: „Wäre ein Engel zu ihm herabgesandt worden!“ Hätten Wir aber einen Engel herabgesandt, wäre die Sache entschieden gewesen; dann hätten sie keinen Aufschub erlangt. [Qur‘an 6:8]
7. In der üblichen Qur’anübersetzung (qaumun munkaruun). قَوْمٌ مُنْكَرُونَ) – Vers 15:62 steht:
Als die Boten zu den Anhängern Lots kamen. Da sprach er: „Wahrlich, ihr sei (uns) unbekannte Leute (qaumun munkaruun).
Bruder Amin übersetzt es folgendermassen:
Leute, die man in der aussichtlosen Situation besser verleugnet (qaumun munkaruun). قَوْمٌ مُنْكَرُونَ)
Die Begründung für seine Übersetzung ist:
„Rudi Parets Wiedergabe, Seite 184: „[…] verdächtige Leute“, trifft von der Antwort der Gesandten her eher zu („Wir sind mit der Wahrheit gekommen“). Denn verdächtig sind sie in zweifacher Hinsicht:
Aus Sicht der Bewohner der Stadt, weil sie sich an Lot, einen Fremden, wenden und seine Gäste sind
Aus Lots Sicht, weil er äußerst vorsichtig sein muss und ihre Gegenwart seine Lage weiter verschärfen kann. Denn jeder Kontakt zu Fremden ist ihm untersagt (s. 15:70).
Die hier gewählte Übersetzung berücksichtigt eher die Wortbedeutung und die Antwort der Gesandten: „Nein, im Gegenteil [verleugne uns nicht …]“, und sie betonen, dass sie mit der Wahrheit gekommen sind und um ihn und die Seinen zu retten. Nach H. Wehr, Seite 1313, bedeutet ankara: „Nicht kennen wollen (hu j-n), nicht wissen wollen (hâ von e-r S.); nicht anerkennen, in Abrede stellen, leugnen; verleugnen (hâ etw.) […] verwerfen, missbilligen […]“.“
Der Autor deutet das Wort (Qaumun munkarun) so um, als würde Lot die Gesandten verleugnen, weil er sich einer aussichtlosen Situation befindet und er sie lieber nicht sehen will. Dafür bringt Bruder Amin als Beleg die eigene Übersetzung mittels Hans Wehrs Wörterbuch.
Dabei hat er leider nicht zwischen den Verben „nakira“ und „ankara“ unterschieden und deshalb kann seine Interpretation nicht aufrechterhalten werden. Nakira heisst: Nicht kennen, nicht erkennen, nicht wahrhaben, unheimlich finden. Ankara hingegen heisst: missbilligen, verleugnen aber auch ablehnen, beanstanden, vorwerfen, tadeln, und in bestimmten Fällen genau wie nakira wie z.B. in der Redewendung „ankara-l-dschamil“, die „sich undankbar zeigen gegenüber jemandem, der einem zuvor eine gute Tat erwiesen hat“ bedeutet. Alle diese Sprachfeinheiten müsste man bereits im klassischen Arabisch berücksichtigen. Weiter müssen wir, wie bereits früher schon erwähnt, beachten, wo dieses Wort sonst noch im Qur’an vorkommt, und welche Bedeutungen es an diesen anderen Stellen hat.
Zum Beispiel bei Abraham mit eben denselben Boten:
Als er aber sah, daß ihre Hände sich nicht danach ausstreckten, fand er sie befremdend (nakirahum) und empfand Furcht vor ihnen. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht; denn wir sind zum Volke Lots entsandt.“[Qur‘an 11:70]
Das verwendete, fettgedruckte Wort hier entspricht dem arabischen „nakirahum“ in der aktiven Form, ein Gefühl, das Ibrahim erfasste, aber erst nachdem er die Gesandten ihre Hände nicht ausstecken sah. Es würde keinen Sinn machen zu sagen, dass er sie verleugnete und bei dieser Verleugnung Angst empfand. Wozu sollte er sie plötzlich verleugnen, wo doch im vorherigen Vers steht:
Und es kamen Unsere Gesandten mit froher Botschaft zu Abraham. Sie sprachen: „Friede!“ Er sagte: „Friede!“ und es dauerte nicht lange, bis er ein gebratenes Kalb herbeibrachte. [Qur‘an 11:69].
Die Worte „nakirahum“ bei Abraham wie auch „munkarun“ bei Lot stammen aus demselben Wortwurzel nūn kāf rā (ن ك ر). Diese kommt 37 Male im Qur’an und in 11 verschiedenen Formen vor.
Man müsste sich logischerweise auch fragen, weshalb haben die Gesandten gesagt:
„Fürchte dich nicht…“, und nicht „verleugne uns nicht“ wenn Abraham sie, gemäss Bruder Amins Interpretation, verleugnet haben soll?
Im Fall von Lot steht das Wort genau wie bei Abraham in der passiven Form. „munkarun“, das sind „unheimliche Leute“, „Leute, die man nicht kennt“. Der einzige Unterschied ist, dass Allah uns dieses Gefühl von Abraham, das er selbst nicht ausgesprochen hat, beschrieben hat. Hingegen bei Lot liess Er Lot selbst dieses Gefühl gegenüber den Gesandten aussprechen.
Dieses Wort „munkarun“ auf Personen übertragen, ist das Gegenteil von „erkennen“. Als gutes Beispiel dient uns hier der Vers aus der Geschichte des Propheten Yusufs, Friede mit ihm, mit seinen Brüdern:
Und es kamen die Brüder Yusufs und traten zu ihm ein; er erkannte sie (fa aa’rifahum), sie aber erkannten ihn nicht (wahum lahu munkirun). [Qur‘an 12:58]
Wie die werten Leser erkennen können, legt sich der Qur’an selbst aus, wenn wir das Prinzip des „tadabbur“ (Nachdenken) mit seinen Versen praktizieren; also seinen Versen folgen und mit Nachdenken die richtige Bedeutung eruieren. Es gibt auch weitere Instrumente zum Verständnis der Koransprache, auf die ich hier nicht eingehen kann, weil sie nicht Gegenstand dieser Replik sind.
Vers 15:63 übersetzt Bruder Amin mit einem Einschub in Klammern als:
„Nicht im Gegenteil [verleugne uns nicht]…“. Es gibt aber einen Unterschied zwischen: „Nein, im Gegenteil“, das im Qur‘an (bal’aa = بَلَى) heisst und „Nein, aber“, das (bal = بَلْ) heisst. In 15:63 steht nur bal.
Hier ein paar Beispiele zum Selberprüfen, wie beide Worte zu verstehen sind:
Zu „Nein, im Gegenteil“: 2:81, 2:112, 3:78 und 6:30
Zu „Nein, aber“: 2:88, 2:100, 3:150 und 4:49
8. Die Übersetzung: Ihn von seinen Gästen abwendig zu machen (rawaduhu aan daifih = رَاوَدُوهُ عَنْ ضَيْفِهِ) – Vers 54:37
Nicht nur Bruder Amin, sondern auch die meisten Übersetzer machen den Fehler, diesen Begriff als ein einfaches „Ausliefern“, „ihn von seinen Gästen abwendig zu machen“, usw. zu verstehen. Einzig die Version im islam.de nähert sich einer ziemlich guten Interpretation an und illustriert dies so: „sie versuchten ja, ihn in Bezug auf seine Gäste zu überreden, (sie ihnen auszuliefern).“
Das verwendete Verb „raawada“ bedeutet nämlich nicht ausliefern, sondern beschreibt den Vorgang, der vor dem Ausliefern bzw. Sich-Ausliefern passiert, nämlich jemanden in Versuchung zu bringen, etwas zu tun, was er eigentlich nicht machen würde oder grundsätzlich ablehnt, es zu tun.
Auch hier gibt uns wieder der Qur’an selbst eine Antwort, welche Bedeutung dieses Wort hat. Betrachten wir ein anderes Beispiel, wo dieses Wort auch vorkommt:
In der Geschichte Yusufs mit der Frau von Al–Aziz:
Und sie (die Frau), in deren Haus er war, versuchte ihn zu verführen gegen seinen Willen (wa rawadthu a’an nafsih) ; und sie verriegelte die Türen und sagte: „Nun komm zu mir!“ Er sagte: „Ich suche Zuflucht bei Allah. Er ist mein Herr. Er hat meinen Aufenthalt ehrenvoll gemacht. Wahrlich, die Frevler erlangen keinen Erfolg.“ [Qur‘an 12:23]
Dasselbe Verb „rawada“ wird in diesem Vers dekliniert als „rawadathu“ verwendet und beschreibt den Versuch der Frau, Yusuf zu verführen, damit er mit ihr Haram begeht, obwohl er dagegen war. Das Sich-Ausliefern würde erst nachher passieren, nämlich, wenn Yusuf diese Versuchung nicht abgewehrt hätte.
In der Geschichte Lots war „rawaduhu aan daifih“, nicht ein simples Ausliefern, sondern die Absicht seines Volkes, sich danach mit den Gesandten homosexuell zu vergnügen.
Als sie das Angebot Lots mit seinen Töchtern ablehnten, gaben sie den Grund dafür an mit:
Sie sagten: „… und du weißt wohl, was wir wollen.“ [Qur‘an 11:79]
Diese Aussage ist wahrscheinlich den meisten von uns bekannt, wenn wir etwas wollen und uns doch genieren, nochmals unseren Wunsch ausdrücklich zu äussern oder müde sind, eine Aufforderung zu wiederholen, weil jemand unseren Wunsch ständig ablehnt. Hier kann man nicht die Behauptung geltend machen, dass es um die Einhaltung des Gastrechtsverbots ginge. Denn Allah schildert uns den geistigen Zustand des Volkes im selben Kontext ihrer Auseinandersetzung mit Lot, als Er sagte:
Wahrhaftig! Sie waren in ihrem Rausch verblendet, so daß sie umherirrten. [Qur‘an 15:72]
Ihre Sucht, sich sexuell mit den fremden Gästen zu befriedigen, hat sie vollständig berauscht.
9. Die Übersetzung: Dies sind meine Töchter [nehmt sie als Garanten für mein und meiner Gäste Wohlverhalten] (ha u’lai Banati in kuntum fa’ilyn = هَؤُلَاءِ بَنَاتِي إِنْ كُنْتُمْ فَاعِلِينَ) – Vers 15:71
Wo steht in der Originalversion des Verses, dass Lot seine Töchter als Garanten für sein und seiner Gäste Wohlverhalten angeboten hat? Nirgends! Das ist das Verständnis Bruder Amins vom Vers, aber die eigentlichen Worte darin sowie der Sinn im nachfolgenden Vers stützen seine Schlussfolgerung nicht, sondern widersprechen ihm total.
Wie sollen die Töchter Garanten gegenüber dem sündigen Volk sein, wenn ihr Vater sagte: „…wenn ihr etwas zu unternehmen beabsichtigt“. Ist dies eine Aussage, die man bei Garantien macht? Ist es nicht eher eine Option, die Lot seinem Volk anbot, damit sie von dem, was sie mit seinen Gästen an Schändlichkeiten vorhatten, absehen?
Doch die Antwort seines Volkes war nichts anderes als: „Treibt Lots Familie aus eurer Stadt hinaus: denn sie sind Leute, die rein sein möchten.“ [Qur’an 27:56]
Das Fettgedruckte bezeichnet die Betonung einer nachfolgenden Kausalität. Der Vers sagt dies weiter genau aus: …denn sie sind Leute, die rein sein möchten“. Im Arabischen heisst es: Innahum unasun yatatahharun
Das Volk machte diesen Vorwurf als Begründung für die Vertreibung von Lot und seinen Anhängern erst, nachdem Lot seine Beanstandung im Vers davor kund getan hat mit:
Wollt ihr euch wirklich in (eurer) Sinnenlust mit Männern statt mit Frauen abgeben? Nein, ihr seid ein unwissendes Volk.“ [Qur‘an 27:55]
Er sagte: „lch verabscheue euer Treiben. [Qur’an 26:168]
Mein Herr, rette mich und die Meinen vor dem, was sie tun.“ [Qur’an 26:169]
Das erklärt auch, weshalb Lot seine Töchter anbot, mit „“…sie sind reiner für euch…“. Im Sinne: das, was ihr treibt, ist nicht rein für euch!
Und das ist die Realität der ausgelebten Homosexualität, die deren Befürworter unter einigen Muslimen, Christen und Juden leider nicht einsehen wollen. Wie kann ein Eindringen in den Anus eines Mannes, an einen Ort, wo sich stinkender Kot voller Mikroben sammelt, als rein bezeichnet werden?
Wir können aus den deutlichen Worten Allahs verstehen, dass es in der Geschichte Lots tatsächlich um die Homosexualität seines Volkes geht.
Ich bitte Bruder Amin und alle Leser, die Informationen und Gegenargumente in dieser Replik mit ihrem Verstand und ihrer Logik zu prüfen und Allah um Unvoreingenommenheit zu bitten und dann zu entscheiden, welche Interpretation sie als wahr annehmen. Und ich möchte daran erinnern, dass am Jüngsten Tag jeder für sich selbst verantwortlich ist. Gemäss dem, was ich aus dem Qur’an verstanden habe, ist ausgelebte Homosexualität für Muslime eine Sünde, die es abzulehnen gilt. Dies, auch wenn die ganze Welt sie mit beschönigenden Worten einen Akt der Liebe nennt. Denn für die Gläubigen liegt das unumstössliche Urteil darüber ausschliesslich bei Allah, dem Schöpfer aller Welten. Er erinnert uns an den Gehorsam:
…und gedenkt der Gnade Allahs gegen euch und des Bundes, den Er mit euch schloß, als ihr spracht: „Wir hören und gehorchen.“ Und fürchtet Allah; wahrlich, Allah weiß, was die Herzen verbergen. [Qur’an 5:7]
zum 1.Teil des Artikels > Replik zum Artikel Homosexualität und Islam Teil 1/2
zum Artikel > Homosexualität und Islam