«Die meisten Moscheen vertreten nur eine bestimmte Strömung. Wir wollen dies aufbrechen und theologisch offen sein.»
Lesen auf: https://www.landbote.ch/31385677
«Die meisten Moscheen vertreten nur eine bestimmte Strömung. Wir wollen dies aufbrechen und theologisch offen sein.»
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Ich suche Zuflucht bei dem Herrn vor dem verworfenen Satan,
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen,
Frieden sei mit uns allen,
in der allgemein muslimischen Mentalität hat sich mittlerweile ein traditionelles Mantra etabliert, wonach man die Lesung (deutsch für „Koran“) erst dann verstehen könne, wenn man den Islam studiert habe, als ob es nur den einen Islam gäbe. Dieses nicht näher definierte, dennoch als Voraussetzung verlangte Studium wird dann oftmals mit Gelehrten der jeweils eigenen Strömung oder Rechtsschule in Verbindung gebracht, um festzulegen, dass nur diese die Lesung hinreichend erklären und beurteilen könnten. Wir werden uns in diesem Artikel der Frage widmen, ob Gelehrte oder irgendeine Mehrheit zur Rechtleitung verhelfen können. Dabei wird allein die Lesung als religiös-normative Quelle herangezogen.
Die meisten sind sich leider nicht bewusst, dass sie durch einen Gelehrtengehorsam fälschlicherweise glauben, die Verantwortung vor Gott an die Gelehrten abgeben zu können. Diese werden am Jüngsten Tag ein böses Erwachen erleben, wenn sie all die, die sie für ihre eigene Irreführung verantwortlich machen, am liebsten selbst bestrafen möchten (41:29). Doch bereits heute klärt uns Gott darüber auf, dass Gelehrte, wenn wir sie zu unseren Gefährten der religiösen Aufklärung zählen, öfters dem Zeitgeist statt der Wahrheit folgen (41:25-26).
Grundsätzlich ist es nicht verwerflich sich eine Meinung zu bilden, welche auf einem Konsens aufbaut oder mit denen der meisten Experten des entsprechenden Fachgebiets übereinstimmt. Vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern ist dies eine gängige Praxis. Dies sollte jedoch nur ein Zwischenschritt sein, denn Argumente generell über Mehrheiten zu definieren kann zu falschen Ergebnissen führen – selbst oder gerade auch in naturwissenschaftlichen Fächern, die darauf aus sind, alles und jeden zu hinterfragen.
Die Lesung ist kein naturwissenschaftliches Buch. Einen Konsens in ihrer Auslegung zwischen „den meisten Experten“ zu finden ist auch praktisch nicht möglich. Als Beispiel seien dazu nur die zwei größten Strömungen der Gottergebenheit genannt, Sunniten und Schiiten, die sich in nicht wenigen Punkten wesentlich unterscheiden. Am Ende des Kapitels „Die Bezeugung als Heilmittel“ des kostenlos herunterladbaren Buches Schlüssel zum Verständnis des Koran finden wir eine ausführliche Auflistung zu entsprechenden Versen. Ein weiteres Beispiel sei auch hier angeführt:
12:21 … Aber die meisten Menschen wissen nicht. (Siehe auch 7:187, 12:40, 12:68, 16:38, 30:6, 34:28, 34:36, 40:57, 45:26)
Eindringlich wird in all diesen Versen klar gestellt, dass eine Mehrheit keinesfalls als Argument dienen kann, wenn doch die meisten Menschen bereits vor Gott selbst nicht wissen können, nicht glauben, nicht dankbar wie auch blind sind (vgl. auch 12:103-106). Dazu empfehlen wir die Begriffe argumentum ad populum und argumentum ad hominem näher anzuschauen.
Das Resultat dieser Missstände ist in den Geschichten der Propheten und Gesandten der Lesung beschrieben (Noah: 10:73, Hud: 46:25, Salih: 11:67, Lot: 11:82, Schuaib: 11:94). Wir sollten wie das Volk von Jonas zuvor die Ermahnung Gottes ernst nehmen, damit wir auch auf der Erde erfolgreich sind (10:98). Unentwegt werden die in der Lesung erwähnten vorangegangenen Völker getadelt (vgl. auch Kapitel 54). Sie dienen uns als Lehre und als Werkzeug, unsere eigenen Taten zu überprüfen, damit wir nicht dieselben Fehler wiederholen (12:111). Nichts ist schlimmer für die Wahrheitsfindung als die Täuschung, bereits die Wahrheit gefunden zu haben, wobei man sie noch nicht fand.
43:36-37 Wer für die Ermahnung des Allerbarmers blind ist, dem verschaffen Wir einen Satan, der ihm dann zum Gesellen wird. Und sie halten sie wahrlich vom Weg ab, und diese meinen, sie seien rechtgeleitet. (Vgl. auch 107:4-6, 29:10-11, 3:116-121, 5:41)
Nicht einmal der Prophet wusste zu unterscheiden zwischen den wahrhaft Gläubigen und den Ableugnern, die sich selbst oder andere täuschen (9:90, 9:101, 2:8-9). Aufgrund dieser Unkenntnis wird der Prophet am Jüngsten Tag verblüfft sagen:
25:30 … „O mein Herr, mein Volk hat diesen Koran verlassen!“
Dass manche Heuchler nicht mal dem Prophet bekannt waren (9:101) wirft eine gänzlich neue Problematik auf bezüglich der traditionell als „unfehlbar“ geltenden Gefährten des Propheten. Als wirklich überzeugte Gottergebene ist es deswegen eine Pflicht, sich keinesfalls auf Mehrheiten zu verlassen. Insbesondere ist Vorsicht bei der Sekundärliteratur geboten, die von den Gefährten des Propheten und ihren Aussagen und Taten handeln. Diese Quellen können schon allein aufgrund der Tatsache, dass sie eine Vermutung darstellen, nicht als religiös verpflichtende Quelle akzeptiert werden. Die Lesung fordert uns auf, Mutmaßungen zu meiden (49:12), unseren Verstand zu benutzen (10:100) und jede Behauptung zu überprüfen (17:36). Die blinde Befolgung von Vorvätern wird von Gott in der Lesung streng getadelt (2:170, 5:104, 7:28, 7:70-71, 7:95, 7:173, 10:78, 11:62, 11:87, 14:10, 21.53, 26:74, 28:36, 31:21, 43:22-23).
Die Lesung ist laut Eigenaussage nicht nur ein Buch für Gelehrte, sondern eine universelle Botschaft für alle Menschen, egal welchen Bildungsstand oder Status sie auch besitzen mögen:
4:79 …Und Wir haben dich als Gesandten für die Menschen gesandt. (Vgl. auch 3:108, 6:90, 12:104 und 21:107)
Unbestreitbar wird aus dem Vers ersichtlich, dass der Gesandte und somit seine Botschaft, die Lesung, an alle Menschen und nicht nur an eine bestimmte elitäre Gruppe von Gelehrten gesandt ist. Die Verse 3:79-80 der Lesung sind darüber hinaus eine klare Anweisung an alle Menschen, die Lesung zu lernen und auch anderen zu lehren! Dazu ist es natürlich legitim und hilfreich die Meinungen anderer einzuholen, auch von Gelehrten, um von ihnen zu lernen und sich weiterzubilden (39:18). Eine blinde Befolgung von Gelehrten ohne ihre Argumente zu hinterfragen und zu überprüfen ist mit der Lesung jedoch nicht vereinbar:
17:36 Und verfolge nicht das, wovon du kein Wissen hast. Gewiss, Gehör, Augenlicht und Herz, – all diese -, danach wird gefragt werden. (Vgl. auch 2:78, 9:31, 10:66, 45:24, 45:32 und 49:12)
Somit muss das erworbene Wissen stets überprüft werden, um damit Schlussfolgerungen tätigen zu dürfen. Argumente wie: „die Meisten sagen aber“ oder „ein bestimmter Scheich sagt dazu“ sind nicht zulässig. Die Lesung kritisiert solche Meinungen vehement (2:170, 6:116, 7:17, 7:179, 11:17). Die Wahrheit misst sich nicht an Mehrheiten, bestimmten Gruppen oder bestimmten Menschen, sondern lediglich am Gehalt einer Aussage. Eine Ansicht ohne eine jegliche Hinterfragung anzunehmen oder sich blindlings Mehrheiten anzuschließen kann unmittelbar zu falschen Auffassungen über die Lebensordnung (Religion) führen. Beispiele dazu sind die Lesung durch erfundene Aussprüche (aḥādīṯ) zu erklären oder sie gar mit der Lesung auf die gleiche Stufe zu stellen, Verse aus der Lesung zu abrogieren (siehe auch Religion in ein Spiel verwandeln) und vieles mehr.
10:36 Und die meisten von ihnen folgen nur Mutmaßungen. Aber Mutmaßungen nützen nichts gegenüber der Wahrheit. Gewiss, Gott weiß Bescheid über das, was sie tun.
10:100 Und er wirft die Schmach auf diejenigen, die ihren Verstand nicht gebrauchen. (Vgl. auch 8:22)
Mutmaßungen haben folglich keinen Wert. Den Verstand nicht zu gebrauchen wird von der Lesung nicht nur abgelehnt, sondern auch bestraft. Für Traditionalisten ist Vers 10:36 eine Mahnung, den Sekundärquellen, die auf nichts anderes als Vermutungen fußen, keine religiöse Autorität zu geben und sich auf Gottes alleiniges Wort zu verlassen (3:173, 7:3, 8:64, 9:59, 9:129, 39:36, 65:3). Vielmehr werden wir ermahnt, dass wir zu oft sekundäre Quellen dazu verwenden, uns unsere eigenen Meinungen schön zu reden:
68:36-38 Was ist mit euch, wie ihr richtet. Oder habt ihr eine Schrift, in der ihr studiert. Darin habt ihr sicherlich, was ihr euch wählt.
Die meisten Gelehrten der unerlaubten Abspaltungen (42:13) der Gottergebenheit (deutsch für „islām“) nehmen in den Sekundärquellen nur diejenigen Aussagen für sich heraus, an denen sie selber Gefallen finden (2:85, 25:43). Sie sind jedoch, wie bereits erwähnt, nur Vermutungen und voller Widersprüche. Ohnehin akzeptiert die Lesung solche Quellen nicht. Demzufolge gibt es gleich mehrere Gründe als Gottergebene oder Gottergebener (deutsch für „muslim“) jeden dazu anzuhalten, die Lesung selber zu erforschen (34:46, 96:1f.). Die Ablehnung von Gelehrtendoktrinen wird im folgenden Vers ein weiteres Mal prägnant dargestellt:
2:170 Und wenn man zu ihnen sagt: „Folgt dem, was Gott herabsandte“, sagen sie: „Nein! Vielmehr folgen wir dem, worin wir unsere Vorväter vorgefunden haben.“ Was denn, auch wenn ihre Väter nichts begriffen und nicht rechtgeleitet waren? (Vgl. auch 31:20-21, 6:106 und 7:3)
Es ist eine traurige Tatsache, dass die meisten dieser Anordnung nicht Folge leisten. Es ist zu erschreckend normal geworden, das Verständnis von der Lesung mit traditionellen Einflüssen und falschen Autoritäten zu verzerren. Oft hört man dabei das Argument:
Wenn ich krank werde, gehe ich doch zum Arzt, der sein Fach studiert haben muss. Im Islam muss man das Gleiche tun!
Dieser Gedanke wurde bereits an dieser Stelle kommentiert. Diesen Leuten muss im Hinblick auf diese Ärzte-Metapher zudem die Frage gestellt werden, ob sie sich lieber von einem der vielen falschen Wunderheiler behandeln lassen möchten, welche nur allzu oft dem Geld, Traditionen oder Vermutungen nachgehen und somit unerlaubte Behandlungsmethoden befürworten oder sich nicht doch von Demjenigen behandeln lassen möchten, welcher vollkommen ist! Sich allein Gott zu widmen bedeutet zugleich, die Verantwortung in die eigenen Hände zu legen. Nichts ist gefährlicher für eine machthungrige Gruppe von elitären Gelehrten als eine selbst denkende, auf Basis der Vernunft und der Gerechtigkeit handelnde Gemeinschaft an Gottergebenen, die sich nicht durch irgendwelche Menschen einschüchtern lassen.
Gott gibt uns auch Beispiele, wie die Menschen Sein vollkommenes Wort (6:115) zu entstellen versucht haben (5:13, 10:15, 17:45-46, 18:57, 43:36-37). Dabei ist es ein gemeinsames Merkmal aller Ableugner und Heuchler, dass sie sich mit Gott allein nicht zufrieden geben können, sie brauchen sekundäre Quellen neben Ihm:
39:45 Und wenn Gott allein erwähnt wird, verkrampfen sich die Herzen derjenigen, die nicht an das Jenseits glauben. Wenn aber diejenigen erwähnt werden, die es außer Ihm geben soll, freuen sie sich sogleich.
Diesen Versen nach zu urteilen genügt es nicht, viel Wissen zu haben, sondern nach welcher inneren Einstellung man die Lesung erschließen will. Es ist besser, nicht „den Islam“ studiert zu haben und dabei Gottes alleinige Autorität zu akzeptieren, anstatt beispielsweise Theologie zu studieren und dabei einer erfundenen „Sunna“ neben der Lesung zu folgen und Gottes Wort dadurch zu entstellen. Wer aus bestimmten, diesseitigen Gründen diesen Fehlern nachläuft, kann sich am Tag der Lebensordnung (am Jüngsten Tag) nicht einfach seiner Verantwortung entziehen (7:38-39, 14:22)!
Traditionalisten, welche dieser Argumentation kritisch gegenüberstehen und sich nicht von der Gelehrtendoktrin abbringen lassen möchten, präsentieren zu diesem Thema oft folgenden Satz aus der Lesung:
16:43 Und Wir haben vor dir nur Männer gesandt, denen Wir (Offenbarungen) eingegeben haben. So fragt die Leute der Ermahnung, wenn ihr nicht wisst. (Vgl. auch 21:7)
Die fett markierten Stellen lauten im Original ahl-al-ḏikri (أهل الذكر) auf Deutsch: Leute der Ermahnung. Da die Lesung auch als Ermahnung betitelt wird, kann man hier auf Leute schließen, die tief im Wissen der Lesung verankert sein müssen. Daraus schließen sie, dass nur Gelehrte die Lesung auslegen dürfen. Abgesehen davon, dass diese Interpetation nicht mal im klassischen Sunnitentum einen Konsens hat (man lese dazu nur Tabari, Qurtubi und Ibn Kathir), bedeutet dies noch lange nicht, dass wir ihnen blind folgen dürfen und sie dadurch zu Herren über uns zu erheben haben (3:64, 9:31, 12:39, 17:36). Gott allein als Herrn anzuerkennen bedeutet auch, dass die Erklärung der Lesung nur durch sich selber legitim ist.
Da aber auch andere Offenbarungen Gottes so bezeichnet werden, müssen sich etwaige Gelehrte mit sämtlichen Schriften auseinandersetzen (5:13-14, 21:48, 21:105, 28:43 und 23:110), was bei den meisten Gelehrten aufgrund ihrer negativen und ablehnenden Haltung beispielsweise gegenüber der Tora oder dem Evangelium nicht zutrifft.
Viele Verse machen uns darauf aufmerksam, wozu die Gelehrtendoktrin geführt hat: moralischer Zerfall (5:63), Autoritätsdenken (9:31) und Ausbeutung durch diese Autoritäten (9:34). Diese Verse sind dabei nicht historisch gemeint, sondern betreffen auch die heutigen Umstände (12:111, 2:44). Letzten Endes werden keine Menschen, nicht mal Gesandte, uns rechtleiten können. Allein Gott kann uns rechtleiten (42:31, 9:116, 29:22), sofern wir Gottes Rechtleitung erlangen möchten (17:9, 28:56, 27:80-81, 41:44).
Naturgemäß werden sich zu diesem Artikel neue Fragen auftun. Wie zum Beispiel, ob man die Lesung hinreichend ohne Arabischkenntnisse verstehen kann oder wie man mit der Lesung generell umgehen soll. In meinem Buch Schlüssel zum Verständnis der Lesung gehe ich ausführlich und weitgehend allgemeinverständlich auf diese komplexe Thematik ein. Weitere klassische Fragen sind:
Auf der einen Seite spielen bei der Beantwortung dieser Fragen meist die eigene Tradition, die große Anzahl der eigenen jeweiligen Gruppierung, ein oftmals angeführter angeblicher Gelehrtenkonsens eine große Rolle. Dem gegenüber stehen nicht selten gleicherweise das eigene Umfeld, die eigene Lebenserfahrung aber auch bestimmte angelernte Auffassungen, welche auf das Verständnis der Lesung einwirken und dadurch das Verständnis der Lesung verzerren können.
Wie aber findet man nun Rechtleitung und wer kann sie überhaupt vermitteln?
28:56 Gewiss, du kannst nicht rechtleiten, wen du möchtest. Gott aber leitet recht, wen Er will. Er kennt sehr wohl die Rechtgeleiteten.
17:9 Gewiss, diese Lesung leitet zu dem, was richtiger ist, und verkündet den Gläubigen, die rechtschaffene Werke tun, dass es für sie großen Lohn geben wird.
2:12 Uns obliegt die Rechtleitung.
Gott allein ist es also, der rechtleiten kann und sonst niemand, auch nicht der Mensch hinter der Prophetengestalt. Auch kann nicht die eigene Tradition, die oftmals auf Erfindungen beruht, oder Gelehrte einer bestimmten Abspaltung als Quelle der Rechtleitung dienen.
Die Charaktereigenschaften, die vor Gott zwingend sind, um rechtgeleitet zu werden:
Alles in allem müssen sich Gottergebene darum bemühen, die Rechtleitung allein von Gott zu erhoffen. Das bedeutet, sich von niemandem abhängig zu machen und alles zu hinterfragen – sei es in der Wissenschaft, der Politik, der Musik, im Sport oder der Kunst. Es ist unsere Pflicht, aufgeklärte, zukunftsgerichtete Menschen zu werden, die ihren Verstand einsetzen. Nur so werden wir sowohl im Dies- wie auch im Jenseits erfolgreich sein.
39:23 Gott hat die beste Botschaft offenbart, ein Buch mit gleichartigen, sich wiederholenden (Versen), vor dem die Haut derjenigen, die ihren Herrn fürchten, erschauert. Hierauf werden ihre Haut und ihr Herz weich (und neigen sich) zu Gottes Gedenken hin. Das ist Gottes Rechtleitung. Er leitet damit recht, wen Er will. Und wen Gott in die Irre gehen lässt, der hat niemanden, der ihn rechtleitet.
39:36-37 Wird Gott nicht Seinem Diener genügen? Dennoch wollen sie dir mit denjenigen, die es außer Ihm geben soll, Furcht einflößen. Und wen Gott in die Irre gehen lässt, der hat niemanden, der ihn rechtleitet. Wen aber Gott rechtleitet, den kann niemand in die Irre führen. Ist nicht Gott Allmächtig und Besitzer von Vergeltungsgewalt?
Sehr geehrter Herr Pfr. Hansjürg Stückelberger,
Frieden sei mit Ihnen und uns allen, wie die Barmherzigkeit Gottes und Sein Segen,
als besorgter schweizer Bürger möchte ich nicht schweigen, sondern gerade aufgrund meiner Liebe zur Schweiz ein Statement zum Flyer «Soll der Islam öffentlich-rechtlich anerkannt werden» und zur Zukunft der Schweiz in Bezug auf die Gottergebenheit (arabisch: «Islam») abgeben.
Der Flyer erreichte meine Frau und mich heute in unserem Briefkasten und ich verstehe die Sorgen meiner Mitbürger, denen die abendländisch geprägten Werte und der Wohlstand dieses schönen Landes teuer sind. Sie sind definitiv zu schützen und wir müssen alles unternehmen, dass die demokratischen Werte, nach denen wir leben, bewahrt und weiter auf demokratischem Wege verbessert werden müssen (nobody’s perfect).
Kurz zu mir: Ich befasse mich spätestens seit 2006 und vor meiner Einbürgerung und Ausbildung zum Offizier intensiv mit der Gottergebenheit (Islam) und betreibe die Webseite alrahman.de mit der Absicht der direkten, schonungslosen Aufklärung. Erst vor Kurzem erschien mein Buch Schlüssel zum Verständnis des Koran (kostenlos auf der Webseite als PDF erhältlich), weshalb ich mich durchaus als jemanden betrachte, der nicht nur einiges von der Gottergebenheit versteht, sondern auch die Menschen zu erreichen vermag, wie an bereits rund 650 verkauften Büchern und folgendem Beispiel deutlich wird:
Selam. Ich bin gerade dabei, dein Buch „Schlüssel zum Verständnis des Koran“ zu lesen und muss dir wirklich meinen tiefsten Respekt aussprechen. Dieses Buch ist mir eine große Hilfe und ich danke dir dafür, dass du mir eine Möglichkeit geschaffen hast, wie ich mich von kulturellen Einflüssen lösen kann, um die Lesung mit Gottes Hilfe zu studieren und zu verstehen. Vielen lieben Dank und möge Allah dich dafür reichlich belohnen. Einen schönen und friedlichen Abend noch dir und deiner Familie.
Wenn wir von der Gottergebenheit sprechen, dann teilt sie die Welt nicht in das ‹Haus des Frieden› (dāru-s-salām) und in das ‹Haus des Krieges› (dāru-l-ḥarb). Indem die Schreiber und Entwerfer dieses Flyers diese anti-koranische (!) Meinung einer Minderheit zur Theologie der Gottergebenheit und somit unweigerlich aller Gottergebenen (arabisch: «Muslime») erheben, werden leider unbegründet Angst und Hass geschürt. Dieser Hass wird gegenüber einer Menschengruppe geschürt, die unter Umständen von dieser Aufteilung noch nie etwas gehört haben und ihr gerade aus religiösen Gründen auch niemals zustimmen können.
Offensichtlich haben sich die Verfasser und Verantwortlichen des Flyers nicht mit der Lesung (arabisch: «Koran») befasst. Denn nach den ihr innewohnenden, gottergebenen (arabisch: «muslimischen») Prinzipien gelten nach heute verwendeten Begriffen föderalistisch-laizistische Grundsätze, die innerhalb einer Demokratie Anwendung finden müssen. Mit dieser Meinung stehe ich auch nicht alleine da, viele namhafte Theologen stimmten mir zu. Als ein Beispiel sei Professor Yaşar Nuri Öztürk angeführt: Die Zeit nach den Propheten: Der Koran fordert Demokratie
Ich gehöre zu jenen, die die Lesung durchaus wörtlich nehmen. Gerade deshalb muss ich insbesondere in Bezug auf die zitierten Verse 48:28 und 8:39 absolut widersprechen. Eine überwältigende Mehrheit der Theologen wie auch der Gottergebenen versteht diese Verse nicht so wie im Flyer dargestellt. Mit der in meinem Buch erläuterten Vorgehensweise im Verstehen der Lesung wird auch klar wieso. Für weitere Einzelheiten schlagen Sie bitte in folgendem Artikel nach: Anweisungen während eines Krieges
Christliche Werte sind geprägt von der Nächstenliebe. Das Gleichnis des barmherzigen Samariters ist ein klares Beispiel hierfür. Diese Werte finden sich ebenso uneingeschränkt in der Lesung (Koran). Ja, vielmehr, einen barmherzigen Samariter nennt man nach den Worten der Lesung einen Mudschāhid, also jemanden, der den Dschihād ausübt. Dieser für viele unerwartete Vergleich des barmherzigen Samariters mit einem Mudschāhid zeigt, wie prekär die Lage auf beiden Seiten ist. Gottergebene sind durch die westlich geprägte Rhetorik dermassen beeinflusst, dass sie begonnen haben selbst die Begrifflichkeiten durcheinander zu bringen. Begriffe wie den «heiligen Krieg» oder den «politischen Islam» gibt es nicht in der Lesung. Hier empfehle ich folgenden Artikel: Die Rhetorik von „Terror“ und „Dschihad“
Nicht dass wir uns missverstehen: Wir müssen gemeinsam gegen den AIS (anti-islamischen Staat) vorgehen und sämtlichen Gottergebenen (Muslimen) und Andersgläubigen aufzeigen, dass ihr religiöses Fundament nicht auf der Lesung, sondern auf Quellen beruht, die erst nach der Offenbarung der Lesung in einem Umfeld politisch chaotischer Zustände entstanden sind, die leider heute von Gottergebenen selbst noch fälschlicherweise und aufgrund fehlender Aufklärung ungerechtfertigt als Offenbarung oder autoritäre Quellen der Religion verstanden werden können. Diese nennen sich beispielsweise auf Arabisch Sunna, Idschmāʿ und Idschtihād. Sie haben mit der Lesung nichts zu tun und sind menschliche, teils auch ‹satanische› Produkte.
Die Schweiz ist in ihrem Geiste und Wesen hochgradig aufklärerisch. Allein der Name Huldrych Zwingli zeigt dies auf. Wir möchten diesem aufklärerischen Geist folgen und rufen dazu auf, dass jede und jeder, der/dem die Sicherheit und das Wohl dieses Landes am Herzen liegt, uns zu unterstützen. Sei dies durch Einladungen an Gespräche, Podiumsdiskussionen, Radiosendungen oder auch Sendungen im Fernsehen.
Eine Anerkennung der Gottergebenheit fördert den Frieden und gibt gerade dadurch die Möglichkeit, präventiv über die Religion aufzuklären, damit Radikalisierung erst überhaupt nicht stattfinden kann. Gehen wir gemeinsam vor gegen zum Beispiel die satanischen Machenschaften des AIS. Ähnlich Denkende wie wir sind für den inneren und äusseren Frieden, den geistigen wie gesellschaftlichen Frieden. Wir sehen die Schweizer Verfassung als eine mögliche Umsetzung der gottergebenen Prinzipien, die wir aus der Lesung entnehmen. Ein paar unserer Flyer habe ich Ihnen beigelegt.
Am 21. November 1990 wurde in der Charta von Paris die Spaltung Europas in Ost und West im Kalten Krieg für beendet erklärt. Mögen wir nun damit beginnen, die Spaltung der Welt in «West» und «Ost», der «Anderen» und «Uns» zu beenden. Beginnen wir vielmehr damit, den Frieden zu sichern durch Aufklärung, Verständnis und Barmherzigkeit.
Mögen wir das gottergebene Prinzip der Vernunft, der Liebe und des Friedens gemeinsam vorleben.
In Frieden und mit freundlichen Grüssen,
Kerem Adıgüzel
In diesem Kapitel werden wir uns den uns zur Verfügung gestellten Werkzeugen des Denkens widmen. Dieses Kapitel ist meines Erachtens eines der wichtigeren in diesem Buch, da selbst eine Vielzahl der „muslimischen“ Intellektuellen Aussagen von sich geben, die keiner mit einem gesunden Menschenverstand und einer Mindestportion an Ausbildung auszusprechen wagen würde. Wieso ich in dieser Hinsicht gerade die Logik in den Vordergrund stelle, also eine mathematische Disziplin, hat nicht nur damit zu tun, dass ich selbst Mathematik studiert habe, sondern auch damit, dass viel im Verstehen der Lesung vereinfacht wird, wenn wir zumindest die grundlegenden Prinzipien des Schlussfolgerns beherrschen und die häufigsten Fehler vermeiden.
Oder um es in den Worten Karl Mengers zu sagen:
Nicht etwa, daß bei größerer Verbreitung des Einblicks in die Methode der Mathematik notwendigerweise viel mehr Kluges gesagt würde, aber es würde sicher viel weniger Unkluges gesagt.
– Karl Menger
Hierbei werde ich keine bestimmte Logik von Grund auf neu aufbauen. Dazu gibt es viele gute Bücher auf dem Fachmarkt. Wichtig ist zu wissen, dass es nicht die, also nur eine Logik gibt, sondern mehrere. Worauf ich mich beziehen will ist die sogenannte klassische Aussagenlogik, also die Art von Logik, welche sich mit den Aussagen und deren Verknüpfungen befasst. Mithilfe dieser Logik werde ich Aussagen aus der Schrift untersuchen oder verknüpfen. Sie müssen keine studierte Mathematikerin oder ein studierter Mathematiker sein, um die wichtigsten Regeln der Aussagenlogik begreifen und anwenden zu können. Wichtig ist einfach, dass Sie Interesse haben, sich selbst nicht in die Irre zu führen durch Wunschdenken, Verleugnung oder Angst. Die Wahrheit wird uns freisetzen und uns alle zu einem friedvolleren Leben führen.
Da ich wie schon erwähnt die Regeln der Aussagenlogik nicht neu erklären will, möchte ich mich doch die wichtigsten kurz erwähnen. Eine Aussage hat entweder den Wahrheitsgehalt wahr oder falsch und es gilt das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten (es gibt nichts zwischen wahr und falsch). Dieses Prinzip wird es uns vereinfachen, Aussagen auf ihre Plausibilität zu überprüfen.
Aussagen können verbunden werden durch „und“, „oder“ oder „nicht“. Aus diesen leiten sich dann auch Begrifflichkeiten wie „A genau dann, wenn B“ (Gleichwertigkeit) und „wenn A, dann B“ (Bedingung) ab für Aussagen A und B. Diese Regeln können erweitert oder auch zusammengefasst werden, wie zum Beispiel in den bekannten De Morgan Regeln.
Wichtig hierbei ist, dass Sie beispielsweise verstehen, dass die Aussage „wenn A, dann B“ gleichwertig ist zur Aussage „wenn nicht B, dann nicht A“. Überprüfen Sie diese Behauptung, um ein Gefühl dafür zu erhalten, dass Ihnen die technische Seite der Mathematik, der Formalismus zu weiteren Aspekten verhilft. Sie sehen das Eine, denken aber an das Andere und erhalten das Dritte aus der ganzen Sache!
Wieso kümmern wir uns also um die Logik? Was bringt die Logik mir in meinem Alltag? Bedeutet Logik, dass ich meine Gefühle und Instinkte total abschalte? Nein!
Die Logik ist zuerst einmal eine Worthülse, wenn wir nicht genauer definieren (oder es zumindest versuchen zu definieren), was sie bedeutet. Viele von uns denken bei der Logik an die Alltagslogik, die mit der Disziplin der mathematisch-philosophischen Logik nur am Rande etwas zu tun hat. Dass einem etwas „logisch erscheint“ sagt nur etwas darüber hinaus, dass dieser Gedanke oder diese Idee einem selbst gefällt. So sagt die Alltagslogik mehr über die Person aus als über den Wahrheitsgehalt der Idee selbst.
Durch die Regeln des logischen Schlussfolgerns können Sie Aussagen kombinieren und sie auch hinterfragen. Im besten Falle können Sie herausfinden, ob Ihre Aussage es überhaupt wert ist, diese zu überprüfen und ihr nachzugehen, oder ob sie von vornherein falsch formuliert wurde. Der Nutzen der Logik ist also immens und selbst ihre Gefühle, ihre Intuition können Ihnen dabei helfen, nützliche und wertvolle Aussagen überhaupt erst zu finden. Doch die Überprüfung jeglicher Aussagen ist eine gottergebene Pflicht!
Seit man begonnen hat, die einfachsten Behauptungen zu beweisen, erwiesen sich viele von ihnen als falsch.
– Bertrand Russell, britischer Mathematiker
Viel wichtiger als der Bezug auf die klassische Aussagenlogik ist meines Erachtens die Kenntnis der häufigsten Fehler, die man in der Begründung der eigenen Aussagen begeht, damit man sie vermeiden kann.
Es gibt sehr viele Fallen der Alltagslogik, weshalb ich eine kurze Umschreibung der meines Erachtens häufigsten logischen Fehlern bieten will. Wer sich selbst in den Gebieten der Logik und der Wahrheitsfindung weiter entwickelt, kann das entwickeln, was ich als die rationale Gesundheit der Seele (nafs) bezeichne. Denn für eine ganzheitlich gesunde Seele braucht es nicht nur die spirituelle und emotionale Gesundheit der Seele, welche nicht nur das Herz und die Empfindungen umfasst, sondern ebenso die rationale Gesundheit, wobei der Verstand als ein unzertrennlicher Teil der Seele aufgefasst werden muss.
Insbesondere folgende logische Fehler sind leicht zu vermeiden:
Ich erfinde eine Aussage, schiebe sie meinem Gegenüber zu und widerlege dann diese Aussage, die ich mir selbst zusammengebastelt habe zu diesem Zweck. Das Prinzip heißt deshalb Strohmann-Prinzip, weil man sich seinen eigenen Strohmann bastelt, den man leicht schlagen kann. Unterstellungen fallen in diese Kategorie, da sie scheinbar unser Gegenüber schwächen. Eine unredliche Art, die der Wahrheitsfindung nur im Weg steht und unnötig Zeit raubt.
Da Atome unsichtbar sind, und ich aus Atomen bestehe, bin ich selbst unsichtbar. Da ich aber nicht unsichtbar bin, gibt es keine Atome. Hier wird nicht die Annahme generalisiert, dass Atome unsichtbar sind, sondern die versteckte Annahme dahinter, dass unsere Augen das Maß aller Dinge seien
Nur weil etwas miteinander korreliert, also miteinander in Bezug steht, heißt das noch lange nicht, dass sie sich gegenseitig verursachten. Nur weil in einer Studie herausgefunden wurde, dass Kaffee mit erhöhtem Krebsrisiko zusammenhängen kann, heißt das noch lange nicht, dass Kaffee die Ursache ist. Vielleicht sind Kaffeetrinker auch öfters Raucher als Nicht-Kaffeetrinker?
Die Aussage X ist wahr, weil in Y steht, dass X wahr ist. Oder ein anderes Beispiel: Die Offenbarung Gottes muss wahr und geschützt sein, weil es ja in Vers 15:9 steht!
Etwas ist wahr, weil uns die Geschichte so berührt hat oder die vortragende Person dermaßen rührend war und man es ihr nicht zutrauen kann, dass sie lügt. Andererseits: Insbesondere der direkte Appell an die Emotionen im Sinne von „seid ihr etwa tolerant gegenüber Kinderschändern, dass ihr das Gesetz XY nicht akzeptiert?“ fällt in diese Kategorie.
Etwas ist wahr, weil die Mehrheit der Menschen dasselbe sagt. Dies ist leider immer noch einer der häufigeren Fehler, den viele Sunniten begehen, indem sie etwa denken: Wir als Sunniten sind zahlreicher als die Schiiten, hätte Gott dies nicht gewollt, wäre dies nicht passiert, also haben die Sunniten Recht!
Etwas ist wahr, weil es Prof. Dr. Dr. Dr. Müller sagt oder weil es Scheich Dr. Dr. Ibrahim sagt. Auch wenn es oft stimmt, dass Fachleute auf ihrem Gebiet besser Bescheid wissen als andere, heißt das noch lange nicht, dass sie deshalb immer Recht haben müssen. Der Wahrheitsgehalt misst sich nicht an der Person, sondern an der Aussage (dem Inhalt) selbst.
Weil XY in der Natur vorkommt, ist es „natürlich“. Gemäß dieser Aussage wären also sämtliche Pädophilen und Mörder Menschen, die wir rechtlich nicht mehr belangen dürften. Ein anderes Beispiel wäre: über 1500 Tierarten in der Natur zeigen homosexuelle Züge (und nicht „sind sexuell“!), also ist Homosexualität etwas Natürliches.
Dies ist besonders tückisch, da selbst dann, wenn eine Behauptung vom Vortragenden grottenschlecht oder gar falsch begründet wurde, dies noch lange nicht bedeutet, dass die Wahrheit der Behauptung widerlegt sei. Beispiel einer schlechten Begründung einer aber höchstwahrscheinlich wissenschaftlich gesicherten Behauptung: Die globale Erderwärmung ist von den Menschen verursacht, weil meine Tochter Verdauungsprobleme hat.
Von der Behauptung einer Sache gleich übertriebene Konsequenzen erwarten. Nur weil etwas eintrifft, das mir nicht gefällt, muss ich nicht gleich die Weltkatastrophe erwarten. Wenn etwa die gleichgeschlechtliche Heirat erlaubt werden soll, so heißt das nicht, dass damit Türe und Tore offen sind für die Heirat von Minderjährigen, Tieren oder dergleichen.
Die Person angreifen statt die Aussage der Person. Beispiel: „Kerem hat mit seiner Aussage XY Unrecht, weil er keine Professur in klassisch-orthodoxer Theologie des Fiqh hat.“ Ich mag zwar keine Professur innehaben, doch vielleicht sage ich etwas, das von Belang ist? Wenn ich die Unwahrheit erzähle, kann man das ignorieren, aber wieso sollte man irgendeine Person ignorieren, die die Wahrheit erzählt, nur weil die Person selbst nicht „beliebt“ ist oder diese Person keinen fachlichen Abschluss hat? Akzeptieren wir die Wahrheit nur dann, wenn sie hinter Abschlüssen und Diplomen auftaucht?!
Mir wird vorgeworfen, dass meine Aussage XY falsch war. Meine Reaktion darauf: Ja, Ihre Aussage YZ war auch falsch! Hier versuche ich, meinen Fehler zu vertuschen, indem ich auf den inhaltlichen Fehler des Angreifers aufmerksam machen will. Selbst dann, wenn ich Recht behalten sollte, dass sein Fehler falsch war, so möchte ich doch, wenn mein Fehler auch falsch war, dies der Wahrheit, also Gott zuliebe wissen wieso?
Begründungen einer Aussage auf Anekdoten und Erfahrungen können nicht angenommen werden, weil diese nur schwer überprüf- oder wiederholbar sind. Wie kann ich den Traum eines anderen darauf überprüfen, ob der Traum tatsächlich so stattgefunden hat? Die Wahrheit ist die Wahrheit, weil sie nicht von einer Person abhängt. Da Gott die Wahrheit ist, formulieren wir das um: Gott und Sein Wirken sind nicht von einer Person abhängig.
Dieser Fehler ist leider gang und gäbe, insbesondere, wenn es sich um Mathematik handelt. Aussagen wie „Gott will doch von uns nicht, dass wir nach mathematischen Eigenschaften suchen, da nur wenige Menschen überhaupt Mathematik verstehen“ gehören in diese Kategorie. Nur weil man sich selbst und die Mehrheit der Menschen als zu dumm ansieht, heißt das nicht, dass die Wahrheit sich dem angeblichen Dummheitsniveau der Menschen in einem bestimmten Bereich anzupassen hat!
Entweder ist die Aussage wahr, oder sie ist gänzlich falsch! Dies ist ein logischer Fehler, der schwieriger zu entdecken ist, aber prinzipiell kann man mit Gewissheit sagen, dass nur weil die Gesamtaussage nicht ganz korrekt war, die Aussage nicht vollständig zu verwerfen sei. Es kann durchaus sein, dass die Aussage wahr wird, wenn man sie ein wenig inhaltlich ändert.
Im Nachhinein lässt sich vieles erklären und eine Ordnung (er)finden. Dies ist ein besonders hartnäckiger Fehler der Alltagslogik, weil man dazu psychologisch prädestiniert ist, sich selbst und sein eigenes Weltbild zu verteidigen und zu rechtfertigen.
Dies könnte auch als ad hominem aufgefasst werden. Eine Frage wie „Haben Sie Probleme mit Drogen?“ hat den unterschwelligen Ton einer Unterstellung.
Ich behaupte, dass XY nicht möglich ist, beweise mir das Gegenteil! Hier ist der Fehler, dass der Behauptende eigentlich die Beweislast trägt und nicht der, dem die Behauptung an den Kopf geworfen wird. Dies wird dann besonders tückisch, wenn man über eine Person sagt „du kannst dies oder das nicht“, da sich diese Aussage leicht falsifizieren ließe, indem eben der andere sein Können unter Beweis stellt. Nichtsdestotrotz liegt die Beweislast beim Behauptenden.
„Jedes Mal, wenn ich an meine beste Freundin denke, ruft sie an!“ Das ist ein typischer Fehler vieler Menschen, weil sie nur das wahrnehmen, was in das entsprechende Konzept passt. Es gibt eigentlich vier Fälle, die man für diese Aussage untersuchen müsste:
Erst die gesamtheitliche Betrachtung all dieser Fälle wird Aufschluss darüber geben, ob der Anruf wirklich immer dann eintrifft, wenn an diese Person gedacht wird. Nur einzelne Betrachtungsweisen vorzunehmen hinterlässt Lücken in der Analyse, die leicht angegriffen werden können.
Wörter können mehrdeutig sein, insbesondere in Gesprächen. So kann „Dieser Bereich wird zur Verhütung von Straftaten durch die Polizei videoüberwacht.“ mutwillig falsch verstanden werden, dass die Polizei Straftaten begehe. Viel besser wäre es stattdessen nachzuhaken, was genau gemeint wurde.
Ähnlich wie im Falle von ad hominem wird beispielsweise behauptet, dass eine Aussage XY nicht wahr sein kann, weil sie im Buch von Buchārī auftaucht. Selbst wenn Buchārī ein Mörder und Psychopath gewesen wäre, so müsste man stets seine Aussagen analysieren statt zu sagen: Weil es im Buch von ihm steht, ist es nicht richtig.
Ein weiterer häufiger Fehler ist der Irrtum des Glücksspielers, der aus dem Bereich der Glücksspieltheorie entstammt. Dabei wird die Erwartungshaltung beschrieben, dass man beispielsweise bei einem Münzwurf fälschlicherweise nach zwanzig aufeinanderfolgenden Treffern auf Kopf die Erwartungshaltung hat, dass beim nächsten Wurf bestimmt die Zahl kommen muss. In Wahrheit ist die Wahrscheinlichkeit für Kopf oder Zahl genau gleich hoch wie vorher.
Ein Beispiel für einen falschen Kompromiss sei wie folgt gegeben: Ich sehe ein, dass meine eigene Aussage nicht stimmt. Da mir aber die Aussage meines Gegenübers immer noch nicht passt, schlage ich deshalb einfach den Mittelweg ein. Dies ist deshalb falsch, weil die Hälfte von falsch und wahr immer noch falsch ist! Wenn man zum Beispiel damit aufhört zu sagen, dass die traditionellen Ḥadīṯ-Bücher restlos wahr seien, aber stattdessen meint, dass man ohne diese die Religion auch nicht verstehe und deshalb einen Mittelweg einschlagen muss, der begeht genau diesen Fehler des falschen Kompromisses – gleichgültig davon, ob dieser Weg richtig wäre oder nicht, die Begründung war falsch.
Ich bin mir sicher, dass ich in diesem Buch irgendwo einen dieser Fehler auch begangen habe. Besonders die Illusion, dass ich es ja „wissen muss“, weil ich Mathematik und Logik studiert habe, erleichtert es solchen Fehlern, dass sie sich in die eigenen Gedankengänge einschleichen. Auch besonders bei emotionalen Angelegenheiten können apologetische Appelle vorhanden sein. Wir müssen uns deshalb stets von neuem überprüfen, ob wir rational gesund agieren. Die rationale Gesundheit der Seele ist mindestens wie die körperliche Gesundheit zu pflegen, denn sie sind beide Geschenke des Schöpfers.
Nachdem wir nun die Probleme der Alltagslogik oder der Rhetorik kennen gelernt haben, möchten ich kurz diese Prinzipien stichwortartig zusammenfassen:
Die Wichtigkeit und den Nutzen des kombinierenden Denkens möchte ich an einem konkreten Beispiel aus der Lesung aufzeigen:
In der Lesung finden wir in Kapitel 47 einen Vers, in dem Gott uns versichert, dass uns im Garten Eden im Jenseits ein sogenannter köstlicher Wein zubereitet wird. Dies wirft notgedrungen die Frage auf, wieso in dieser Welt berauschende Psychostimulanzien, also Drogen jeglicher Art von Alkohol bis Cannabis, zu vermeiden sind und als Satans Werk beschrieben werden (5:90, 2:219)? Es entsteht zwar kein logischer Widerspruch zwischen diesen zwei Stellen der Lesung, dennoch erübrigt sich die Frage nicht, wieso Gott uns das eine im Diesseits als „zu vermeiden“ und als „Sünde“ zu verstehen gibt, dasselbe aber im Jenseits erlaubt sei.
Hier kommen das analytische Denken und die Fähigkeit zum Zug, verschiedene Aussagen zu kombinieren und damit Schlussfolgerungen zu erhalten.
Betrachten wir also den 15. Vers aus dem 47. Kapitel und die Verse 76:21 und 52:23, so sehen wir aus 76:21, dass das Trinkbare im Jenseits nicht berauschend, sondern reinigend ist, und nicht mit dem Berauschenden dieser Welt zu vergleichen ist, da es keine Sünde in sich beherbergt.
76:21 An ihnen werden Kleider von feiner, grüner Seide sein und Brokat. Und geschmückt wurden sie mit silbernen Spangen und ihr Herr gab ihnen ein reinigendes Getränk zum Trinken.
52:23 Darin reichen sie einander einen Becher, der nicht zu Geschwätz verleitet und in dem nichts Sündhaftes steckt.
Vers 76:21 zeigt uns, dass das Trinkbare im Garten Eden reinigende Wirkung haben kann. Dennoch heißt es im Vers, dass da „ein“ Getränk gegeben wird und nicht notwendigerweise das in 47:15 erwähnte Getränk ist. Es könnte also auch ein anderes Getränk gemeint sein. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass die Getränke im Jenseits als rein beschrieben werden und keine Kopfschmerzen verursachen und auch nicht berauschend wirken (56:19). Berücksichtigen wir weiter, dass das Berauschende im Diesseits auch als „Sünde“ (2:219) beschrieben wird, welches zwischen den Menschen zu Feindschaft und Hass führt (5:91), so wissen wir aufgrund von 52:23, dass damit nicht dasselbe Getränk gemeint sein kann. Bedenken Sie hierbei für einen kurzen Moment, dass wir nirgends von einer allegorischen Interpretation des Verses 47:15 ausgegangen sind, was natürlich in Anbetracht der Beschreibung des Jenseits sehr plausibel wäre.
Es wäre bestimmt interessant in Erfahrung zu bringen, was dabei herauskommt, wenn man die Lesung nach sämtlichen logischen Aussagen aufteilt und inhaltliche Analysen aufgrund der Logik betreibt. So können Partikel wie „fa“ (so), „aw“ (oder), „wa“ (und), „iḏ / iḏā“ (wenn/als), „law“ (wäre) und dergleichen aus der Lesung in logische Operatoren umgewandelt werden. Ich lade die kundigen Leserinnen und Leser dazu ein, solche Analysen durchzuführen, um zu wissen, wie weit man mit solchen Gedankengängen kommen kann.
37:45–47 Dabei wird ihnen ein Becher aus einem Quell herumgereicht, weiß, genussvoll für die, die (daraus) trinken. Darin steckt keine heimtückische Beeinträchtigung, und dadurch werden sie nicht berauscht.84
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen
Der Frieden sei mit euch liebe Leserinnen und liebe Leser, und Gottes Barmherzigkeit wie Sein Segen!
So Gott will werden wir immer wieder ein ausgewähltes Thema unseren Lesern zum Kommentieren anbieten. Damit möchten wir unseren Lesern die Möglichkeit geben, Einblicke zu erhalten, wie unterschiedlich die Menschen zum selben Thema denken können. Ähnlich einer Pinnwand, an der wir unsere Gedanken “pinnen” können. Einfach spontan antworten!
Eine Woche nach dem Erdbeben in Nepal stieg die Opferzahl auf mehr als 6600, die Zahl der Verletzten auf mehr als 14’000. Nebst der Tatsache, dass die Betroffenen Hilfe benötigen und sie so schnell wie möglich erhalten sollen (2:215), gibt es auch eine immer wiederkehrende Frage bezüglich solchen und anderen Naturkatastrophen, nämlich ob sie auch eine Strafe Gottes sein könnten für Menschen, die nicht „richtig an Ihn glauben“. In der Tat gibt es durchaus Koranstellen, die dafür sprechen könnten. Insbesondere Erdbeben werden besonders erwähnt, wird ihnen doch ein gesamtes Kapitel gewidmet:
99:1-8 Wenn die Erde heftig erbebt und die Erde ihre Massen hervorbringt. Und der Mensch sagte: Was ist mit ihr los? An jenem Tag berichtet sie von sich selbst, dass Dein Herr ihr dies offenbarte. An jenem Tag gehen die Leute zerstreut hervor, um ihre Werke gezeigt zu bekommen. Wer im Gewicht eines Teilchens Gutes tut, der wird es sehen. Und wer im Gewicht eines Teilchens Schlechtes tut, der wird es sehen.
Noch interessanter wird die Fragestellung, wenn man sich folgenden Vers in Erinnerung ruft:
30:41 Verderbnis ist gekommen über Land und Meer um dessentwillen, was die Hände der Menschen gewirkt, auf dass Er sie kosten lasse die (Früchte) so mancher ihrer Handlungen, damit sie umkehren. (Siehe auch 42:30-31)
Und so kommt es dann auch, dass mich immer wieder Aussagen erreichen, die der folgenden ähneln: „Ich habe mich letztens mit Nepal bisschen beschäftigt. Nepal lebt einen Polytheismus. Ich bin mir nicht sicher und bin auch nicht jemand, der gerne versucht alles über einen Kamm zu scheren, aber denkst du, dass das Erdbeben mit dem Polytheismus zu tun haben kann, auch wenn dies zu beweisen gar nicht möglich wäre? Natürlich wäre es absurd zu behaupten, dass monotheistische Länder frei von Erdbeben wären, doch beim Polytheismus geht es ja um eine grobe, unverzeihlich große Sünde (4:48) und solche Katastrophen sind vielleicht ein Zeichen.“
Vorneweg: ich kann keinerlei Aussagen darüber tätigen, ob dies oder jenes von Gott oder nicht von Gott käme. Ich habe keinen Einblick ins Verborgene und so bleibt mir nichts anderes übrig als der Blick in den Koran, um eine möglichst gesamtheitliche Betrachtungsweise zu erhalten, die von vorneherein beschränkt sein muss. Persönlich widerstrebt es mir jedoch, irgendwelche lokalen Naturerscheinungen als Strafe über eine geographische Region zu sehen. Zwar wurden vergangene Völker laut Koran auch schon mittels Naturkatastrophen hinweggerafft (siehe z.B. Sura 54), jedoch sehe ich in solchen lokalen Erscheinungen auf der Welt wie in Nepal einen Unterschied. Sie sind für mich auf jeden Fall nicht zu verallgemeinern.
29:2-3 Meinen die Menschen, sie würden in Ruhe gelassen werden, wenn sie nur sagten: «Wir glauben», und sie würden nicht auf die Probe gestellt? Wir stellten doch die auf die Probe, die vor ihnen waren. Also wird Gott gewiss die kenntlich machen, die wahrhaftig sind, und gewiss wird Er die Lügner bezeichnen.
So sehen wir, dass es auch Gläubige gleichermaßen treffen kann, gerade damit sie geprüft werden in ihrer Geduld (siehe auch 2:155f.). Ich persönlich sehe in solchen Gegebenheiten nicht nur die bloße Bestrafung Gottes. Mit dem Glauben an Gott ist für mich auch unzertrennbar der Einsatz der Vernunft verbunden: Gott erschuf uns mit Anlagen wie Augen, Ohren und einem Gehirn, die wir uns zu Nütze machen dürfen und sollen. Und nach dem Gesetz Gottes habe ich nicht passiv zu bleiben und zu denken, es sei alles vorbestimmt, sondern muss meine eigene Situation selbst zum Besseren ändern (13:11, 8:53). Bedenke ich noch den nachfolgenden Vers, wird für mich die Sachlage noch klarer:
4:97-98 Zu jenen, die Unrecht gegen sich selbst verübt haben, sagen die Engel, wenn sie sie abberufen: „In welchen Umständen habt ihr euch befunden?“ Sie antworten: „Wir wurden als Schwache im Lande behandelt.“ Da sprechen jene: „War Gottes Erde nicht weit genug für euch, dass ihr darin hättet auswandern können?“ Sie sind es, deren Herberge die Hölle sein wird, und schlimm ist das Ende! Ausgenommen davon sind die unterdrückten Männer, Frauen und Kinder, die über keinerlei Möglichkeit verfügen und keinen Ausweg finden.
Mit Ausnahme der Mittellosen (4:98) stehen die Menschen also in Selbstverantwortung bezüglich ihres eigenen Schicksals. Die Welt ist ein großer Platz, sie ist weit genug für uns, und wenn die geografischen Begebenheiten unpassend sind, indem sie beispielsweise Erdbeben begünstigen, ist es mein eigener Fehler, wenn ich keine Gegenmaßnahmen einleite. Laut Koran muss der Gottergebene also auch das Recht der Immigration akzeptieren (4:97-98; 7:128). Und an vielen Stellen werden wir von Gott ermahnt, dass wir unseren Verstand einsetzen sollen. So ist es doch auch die fromme Aufgabe des aufmerksamen Gottergebenen, Ingenieurswissenschaften meisterhaft zu beherrschen und voranzutreiben, damit mit der Hilfe Gottes architektonisch stabile Gebäude errichtet werden für alle Menschen gleich welchen Geschlechts, welche Ethnie und welcher Glaubenszugehörigkeit?
Es wird sich meines Erachtens gerade durch solche Naturkatastrophen wie Erdbeben zeigen, ob man die von Gott in uns geschaffenen Anlagen optimal nutzt. Werden wir nicht gerade dadurch erst sehen, wer von uns für Gutes in der Welt sorgte, indem er stabilere Gebäudeformen erforschte, entdeckte und den Menschen dienlich machte? Wird es nicht dadurch ersichtlich, ob wir beim Bau von Gebäuden Profite im Vordergrund sehen, deshalb die Sicherheit außen vor lassen und dadurch Menschenleben aufs Spiel setzen? Werden wir also an jenem Tag nicht, wie in Sura 99 angekündigt, das volle Gewicht des Guten und Schlechten von dem spüren und sehen, das wir taten oder zu tun bewusst ausließen?