Eine der Herausforderungen beim Verstehen der Lesung (Koran) ist die Einordnung von Wörtern, wie dies bspw. beim Wort heilig deutlich wird. Ein korrektes Verständnis der Mehrdeutigkeit gewisser Wörter, aber auch der Bedeutungsunterschiede und klare Abgrenzungen sind wichtig. Grammatik und Semantik sind nur zwei Bereiche. Auch die Methodik des Interpretierens ist wesentlich.
Das Wort heilig wird im Alltag in verschiedener Form gebraucht wird: der heilige Koran, der heilige Prophet, der heilige Engel, heilige Menschen usw. Wie wird das Wort im Koran verwendet? Sollten wir dabei auf unsere Wortwahl achten, religiös gesehen?
Heilig auf Deutsch und Arabisch
Als religiöses Adjektiv bedeutet heilig auf Deutsch erhaben über alles Irdische, unantastbar, von Gottes Geist erfüllt, gottgeweiht und stammt wahrscheinlich vom althochdeutschen heilag, heilīg ab, was wiederum geweiht, heilbringend, zum Heil bestimmt, fromm bedeutet. Eine weitere Ausgangsbedeutung kann jmdm. ausschließlich eigen, ganz, vollständig sein. So kann dann von heiliges Wesen, göttliche Vollkommenheit, Unantastbarkeit, Heiligkeit, Frömmigkeit, Heiligtum oder Sakrament die Rede sein.
Dadurch wird die Suche nach dem entsprechenden arabischen Wort schwierig. Wörter wie muqaddas (geheiligt) oder haram (verboten, tabuisiert, unantastbar) können auch diese oben beschriebene Bedeutungsvielfalt umfassen. In dem Sinne ist es auf Deutsch nicht falsch vom heiligen Propheten zu sprechen. Die Große Moschee von Mekka wird al-masdschid al-haram genannt. Das kann aber auch daran liegen, dass der Aufenthalt in dieser Moschee mit einem direkten Kriegs- und Kampfverbot verknüpft ist. Der Frieden in der Moschee ist also ein unantastbares Tabu. Generell haben Moscheen eine wichtige Bedeutung, da es den gläubigen Menschen untersagt ist sich in Moscheen aufzuhalten, die nicht für die Gerechtigkeit (qist, adalah) und Rechtschaffenheit (taqwa, sulh, birr), also den Weg Gottes (sabîlu-llah) einstehen (9:107-109).
Die arabische Wurzel für heilig
Klassisch wird die Konsonantengruppe qâf-dâl-sîn (q-d-s) als Ausgangswurzel genommen. In der Lesung (Deutsch für Koran) wird die Wurzel wie folgt verwendet:
- Einmal in 2:30 als zweiter Verbstamm qaddasa, um Gottes Souveränität zu verehren
- Dreimal (5:21, 20:12, 79:16) als passives Partizip des zweiten Verbstammes muqaddas/ah, um den geweihten Zustand eines Ortes zu betonen:
- Zweimal als al-wâdi al-muqaddas = das geheiligte Tal (Tuwa)
- Einmal al-ard al-muqaddasah = die geheiligte Erde
- Viermal in Verbindung mit dem Geist der Heiligkeit (nicht Heiliger Geist): rûh al-qudûs
- Zweimal als Gottesname al-quddûs: Der Heilige
So wird klar, dass auch in der Lesung semantische Bedeutungsnuancen des Wortes heilig verwendet werden im Sinne von ganz, ungeteilt, vollständig, vollkommen oder auch gesund.
Außerdem werden in arabischen Wörterbüchern wie dem Lisanu-l-‚arab (Die Sprache der Araber) für die Bedeutung des Begriffs muqaddas auch Umschreibungen wie mubârak (gesegnet) und mutahhar (rein, sauber) wiedergegeben. Diese beiden Eigenschaften werden direkt im Zusammenhang mit der Offenbarungsschrift erwähnt:
Dies ist ein Buch, das Wir zu dir hinabsandten, gesegnet, damit sie über seine Zeichen nachsinnen und damit die Einsichtigen es bedenken.
38:29
kitâbun anzalnâhu ilayka mubârakun liyaddabbarû ‚âyâtihi wa-l-yatadhakkara ‚ûlû l-albâb
Ein Gesandter von Gott, der gereinigte Blätter vorträgt
98:2 Hanif-Übersetzung
rasûlun min Allahi yatlû suhufan mutahharatan
Der Begriff gesegnet wird auch für Gesandte, Friede sei auf allen, gebraucht, z. B. in 19:31 oder 37:113; ebenfalls für Orte, z. B. in 23:29, oder auch für einen Baum als besondere Energiequelle in 24:35. Der Ausdruck rein oder gereinigt wird auch für Menschen gebraucht, siehe bspw. in 3:42, 3:55, 5:41, 8:11 oder besonders in 9:108.
Abgrenzung zur deutschen Sprache
Alles in allem hat zwar die Umschreibung heilig auch eine christliche Konnotation. Dennoch ist dieser Begriff auch im Sinne der Alltagssprache auch für die Lesung (Koran) und die Gesandten nicht fragwürdig. Im Alltag sagen wir ja auch Herr Abdullah. Aber im religiösen Sinne ist Gott allein unser aller wahrhaftiger rabb (Erhalter, Herr). Dennoch ist es auch religiös gesehen nicht falsch, Herr Abdullah zu sagen.
Muqaddas stellt ein passives Partizip des zweiten Verbstammes dar, bedeutet also geheiligt und nicht heilig. Aus gutem Grund wird der Geist der Heiligkeit mit qudus (قُدُس) erwähnt. Es ist sprachlich falsch hier vom Heiligen Geist zu reden, richtig ist der Geist der Heiligkeit. Gott wird mit Al-Quddûs (الْقُدُّوسُ), also der Heilige beschrieben. Die Engel heiligen Ihn direkt in 2:30 (nuqaddisu laka, kein Passiv). Das Land hingegen wird in passiver Form als geheiligt (muqaddas) beschrieben. Das Adjektiv heilig wird nirgends für irgendeinen Propheten oder Gesandten gebraucht im Koran. Der einzig Heilige und die Quelle aller Heiligkeit ist somit Allah, unser formloser, geschlechtsloser, unerschaffener Schöpfer.
Hier können wir einwenden, dass all dies sprachliche Spitzfindigkeiten sind. Dennoch finden wir diese wichtig, da kein Wort in der Lesung (Koran) zufällig gewählt ist. Aus demselben Grund sagen wir auch nur zu Gott mawlânâ (unser Beschützer, Meister, Verbündeter, Schutzpatron). Dieses Wort dient in der Alltagssprache im religiösen Kontext als Ehrentitel für Menschen. Sufis weltweit sagen zum Mystiker Rumi mevlana (türkische Schreibweise). Ebenfalls nennt man gewisse Religionsgelehrte in manchen Ländern so. In der Schrift kommt dieses Wort nur für Gott alleine vor.
Fazit
Synonyme aus den Wörterbüchern bedeuten nicht, dass diese Wörter miteinander gleichzusetzen sind. Linguistisch sollten wir also exakt bleiben. So ist haram auch nicht einfach heilig, sondern die Wurzel H-r-m hat in der Grundbedeutung mit einer Tabuisierung, z. B. im Sinne einer Unantastbarkeit zu tun. Aus dieser Grundbedeutung heraus entspringen dann Ableitungen wie haram (verboten, „tabuisiert, etwas zu tun/sagen/konsumieren“) oder hurma (z.B. Respekt, im Sinne von „es ist ein Tabu, respektlos zu sein“). Haram mit heilig gleichzusetzen führte zu merkwürdigen Widersprüchen, etwa dass Schweinefleisch dann auch plötzlich heilig sein könnte und deshalb nicht zu essen wäre. Die Haram-Moschee ist eine Moschee, bei der es laut Koran ein Tabu ist zu kriegen: ein Ort der spirituellen und körperlichen Unantastbarkeit.
Sprache ist jedoch nie absolut präzise und es gibt Überlappungen. Heil sein bedeutet in dem Sinne auch gesund und intakt sein – aber das ist dann wiederum eine Vermischung von deutschen und arabischen Sprachlichkeiten, die voneinander getrennt sind. Heilen oder heil sein ist nicht dasselbe wie heiligen. Heil sein im Sinne von gesund ist auf Arabisch eher unversehrt, also salîm (سَلِيم), da Unversehrtheit besser passt. Heilsam, heilend, gesund ist dann auf Arabisch eher sihhy (صِحِّي). So ist die HEILung auf Arabisch eher schifâ‘ (شِفَاءٌ).
Wichtig: Wir sagen nicht, dass es absolut unislamisch ist, wenn jemand das Wort heilig in einer anderen Form für sich in seinem Glauben verwendet. Sonst machen wir uns des Takfîrs schuldig, was schon ein Tabu an sich ist. Möge uns davor unser gnädige Schöpfer bewahren.